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FERNSEHEN
Naturgesetz des Bösen: "Breaking Bad"
In Serie: In einer Reihe von Artikeln beschäftigen wir uns feuilletonistisch mit alten und neuen Fernsehserien. Heute: „Breaking Bad“ oder Gedeiht unrecht Gut etwa doch?
Was schiefgehen kann, geht schief: Bryan Cranston (Walter) und Aaron Paul (Jesse) als Drogenköche in „Breaking Bad“.
Foto: Cinetext | Was schiefgehen kann, geht schief: Bryan Cranston (Walter) und Aaron Paul (Jesse) als Drogenköche in „Breaking Bad“.
Von unserem Redaktionsmitglied Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 23.02.2015 12:04 Uhr

Es wäre interessant zu wissen, wie einer drauf ist, der ein halbes Schauspielerleben lang immer den Loser spielt. Ist so einer im richtigen Leben besonders locker, weil ihm ja praktisch nicht mehr viel passieren kann? Oder spielt er die Loser deshalb so gut, weil er einfach die Ausstrahlung hat? Bryan Cranston zum Beispiel. Er war die fast schon liebenswerte Memme von einem Vater in „Malcolm mitten drin“ oder der Nichtskönner von einem despotischen Chef in „How I met your Mother“. Bryan Cranston jedenfalls sollte im richtigen Leben richtig gut drauf sein, denn er hat es optimal erwischt: Mit dem Walter White in „Breaking Bad“ spielt er so etwas wie den Rachegott aller notorischen Loser aller Zeiten.

Breaking bad bedeutet so viel wie böse werden, und genau das passiert in der Serie, die in den USA seit 2008 läuft, und die hier am Montag, 27. August, nach der Erstausstrahlung 2009 auf AXN, noch einmal neu startet. Walter White, Chemielehrer an einer High School in Albuquerque, New Mexico, bringt sich und seine Familie nur mühsam durch. Nach einem behinderten (aber extrem scharfsinnigen) Sohn im Teenageralter erwartet seine Frau Skyler ein zweites Kind. Walter muss jetzt schon zusätzlich in einer Autowaschanlage arbeiten. Bis er eines Tages zusammenbricht. Die Diagnose: Lungenkrebs im Endstadium. Unheilbar. Walter ist ein Bilderbuchbeispiel für den allmählich verarmenden akademischen Mittelstand der USA: mies bezahlt, keine Krankenversicherung, keine Perspektive. Walter in den luxuriösen Sprechzimmern der Krebsärzte, Walter auf dem Parkplatz vor dem Palast seiner Bank am Rande der Wüste, Walter in seiner schäbigen Familienkarre mit der fehlenden Radkappe – jede Einstellung zeigt einen Ausgeschlossenen, einen Abgehängten, einen Überflüssigen. Bezeichnenderweise hatte Vince Gilligan, einst Produzent bei „Akte X“, die Idee zu „Breaking Bad“, als er selbst arbeitslos war. Jedenfalls: Walter beschließt, seine Chemiekenntnisse fürderhin gewinnbringend einzusetzen. Mit dem kleinkriminellen Ex-Schüler Jesse (Aaron Paul) richtet er in einem abgewrackten Wohnmobil eine Drogenküche ein. Die beiden produzieren die Designerdroge Crystal Meth, dank Walters Können so rein wie kein anderer Anbieter.

Walters Illusion: Drogen produzieren und gleichzeitig integer bleiben. Ja, er weiß, dass er sich schuldig macht, aber mit dem eigentlichen Drogenbetrieb, mit dem Verkauf, mit den Zwischendealern, mit den Süchtigen will er nichts zu tun haben. Was natürlich grandios schiefgeht. Schon in Folge 3 haben Walter und Jesse zwei Menschen auf dem Gewissen, und es werden nicht die letzten bleiben. Schon die ersten Bilder des Pilotfilms etablieren die skurrile Stimmung, die „Breaking Bad“ in jeder Szene auszeichnet: Eine leere beige Hose, wie sie der Amerikaner uniformmäßig trägt, steigt, vom Wind gebläht, in die Wüstenluft empor, während ein Wohnmobil sich wild schlingernd durch den rotbraunen Sand quält – die erste große Krise, die anschließend per Rückblende erzählt wird.

„Breaking Bad“, das wird sehr schnell klar, ist ausschließlich große Krise, denn Walter und Jesse sind in nichts auf das vorbereitet, was sie in der Welt der großen Drogengeschäfte erwartet. Was schiefgehen kann, geht schief, sehr oft mit einer slapstickartigen Komik, der man sich auch und gerade in den abstoßendsten und brutalsten Szenen kaum entziehen kann.

Während Jesse einfach möglichst komfortabel überleben will, strebt Walter mehr an als nur die finanzielle Versorgung seiner Familie nach seinem Tod: Er will endlich ein selbstbestimmtes Leben führen, er will nichts weniger als totale Autonomie. Deshalb seine Entscheidung, nicht nur das Gesetz, sondern auch jegliche moralischen Grundsätze zu ignorieren. Deshalb auch seine – allerdings sehr kurzlebige – Entscheidung, die Krebsbehandlung zu verweigern. „Ich hatte in meinem Leben nie etwas mitzureden“, sagt er, als ihm die Familie ob dieser Verweigerung das Messer auf die Brust setzt.

Was aber ist Autonomie? Die Freiheit, sich zu nehmen, was man will, weil niemand einen zur Verantwortung ziehen kann? Die Freiheit, Leben zu zerstören, weil man seines bald verliert? Wie sich herausstellt, gibt es weit mehr Gesetze, als Walter bewusst war. Neben den ganz normalen Strafgesetzen, die Walter als willkürlich und irrelevant abtut, und neben den Gesetzen von Physik und Chemie, denen er sich selbstverständlich fügt, weil er nur so die Ergebnisse bekommt, die er braucht. Wie sich herausstellt, gibt es so etwas wie ein Naturgesetz des Bösen. Ein Gesetz mit vielen Paragrafen und Unterparagrafen. Wer es erlernen – und dabei überleben – will, der muss selbst böse werden, anders geht es nicht.

Die große Spannung von „Breaking Bad“ entsteht nicht zuletzt durch die heimliche – und selbstredend irrsinnige – Hoffnung, Walter werde sich doch noch als einer der Guten offenbaren. Das wird nicht passieren, und eines Tages werden wir Walter endgültig aufgeben müssen. Dass wir es nicht schon längst getan haben, liegt an dieser zutiefst beunruhigenden Faszination, die von Folge zu Folge immer weiterwächst.

 
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