Leicht bekleidete Frauenkörper mit Topmodel-Maßen, Männer mit breiten Schultern und flach trainiertem Bauch: Huldigt das Frankfurter Städel dem Körperkult, der unsere Zeit der Fitnessstudios und der Heidi-Klum-Show prägt? Geht's um erotische Malerei? Nicht wirklich: Die Ausstellung „Schönheit und Revolution“ widmet sich nicht dem Zeitgeist des 21. Jahrhunderts, sondern der Ära zwischen 1770 und 1820, dem Klassizismus. Der heißt so, weil sich Künstler auf die Klassik besannen. Vorbild war die Kunst der Antike.
Es steckt weniger Körperkult hinter der Nacktheit, sondern eine geistige Haltung, die seinerzeit die Künste revolutionierte. Jahrhundertelang hatten üppige Körper und überladene Szenen die Kunst beherrscht. Im Lauf des 18. Jahrhunderts wurde sie schlanker – durchtrainiert wie der Sixpack einer Götterstatue sozusagen. Stilistische Strenge und klare Formen ersetzten den Schwulst des Barockzeitalters. Die Umrisszeichnung – angelehnt an Bilder auf antiken Vasen – kam wieder in Mode. Architekten orientierten sich an den Formen griechischer Tempel, Bildhauer meißelten Figuren wie 500 Jahre vor Christus Phidias – oder so, wie sie glaubten, dass der große Bildhauer gemeißelt hatte: im Geiste von „edler Einfalt und stiller Größe“, wie es Johann Joachim Winckelmann (1717 bis 1768) charakterisierte.
Goethe richtet sich ein
Der Archäologe und Kunstschriftsteller Winckelmann begeisterte nicht nur bildende Künstler. Er beeinflusste auch Literaten. Goethe war ein Vorreiter der Bewegung, die alte Ideale für neue Kunst nutzte. Der Geheimrat wollte „das Land der Griechen mit der Seele suchen“, dichtete, wie auch Freund Schiller, im Stil der Alten. Goethe ließ sogar Salons in seinem Haus am Weimarer Frauenplan mit Friesen im griechisch-römischen Stil verzieren und Abgüsse klassischer Statuen aufstellen. Voll Begeisterung für die Antike unterlief ihm da schon mal ein innenarchitektonischer Fauxpas: Der Abguss eines Juno-Kopfes beispielsweise ist schlichtweg zu groß für das betreffende Zimmer . . .
Wie auch immer: Die Orientierung an den alten Griechen brachte frischen Wind in die Kunst. Das kann nachvollziehen, wer sich erst die barocken Werke in der Dauerausstellung des Städel ansieht und dann die großzügig über zwei Ebenen verteilte Klassizismus-Schau betritt. Reduzierter und konzentrierter wirkt der neue Stil – zumindest bei den Großen der Zunft wie Antonio Canova (1757 bis 1822) oder Bertel Thorvaldsen (1770 bis 1844). Die Hebestatuen der beiden sind erstmals gemeinsam in einer Ausstellung zu sehen. Die Göttin der Jugend des Italieners ist verspielt, die des Dänen in sich ruhend.
Der Tod des Marat
Der Wille zur Vereinfachung in Kunst und Alltagskultur ist auch ein Zeichen für gesellschaftliche Umwälzungen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Aufklärung stellte die Vernunft vorne an, brachte Zweifel auch an der bis dahin als selbstverständlich hingenommenen Herrschaft der Kirchen. Der Klassizismus ist ein bewusstes Gegenmodell zur Verschwendungssucht des Barock und Rokoko, die mit Feudalismus verbunden wurde. Feudalismus und Absolutismus – bewegende Kräfte hinter dem aufwendigen Barock – wurden mehr und mehr überwunden, altrömische Bürgertugenden propagiert.
In Frankreich führte der soziale Gärprozess in die Revolution – Jacques-Louis David wurde zum Maler des Umsturzes. Sein Gemälde „Der Tod des Marat“, das eines der ersten Opfer der Revolution thematisiert, ist in Frankfurt in zeitgenössischen Kopien aus der David-Werkstatt und von Joseph Rocques zu sehen.
Und was ist nun mit Körperkult und all dieser Nacktheit? Was rief der Anblick der ideal geformen Brüste einer Ariadne-Skulptur seinerzeit beim Mann hervor? Was empfand die Dame, wenn sie vor „Junger Bogenschütze seinen Pfeil schärfend“ stand und bemerkte, dass der wohlproportionierte Jüngling lediglich ein Tuch über den angewinkelten Oberschenkel gelegt hat? Dachte sie Unkeusches womöglich? Waren die Bilder des Klassizismus die Pin-ups der Goethezeit? Das ist zu drastisch. Doch ein Hauch Erotik ist schon da. Dr. Maraike Bückling und Dr. Eva Mongi-Vollmer, Kuratorinnen der Ausstellung, sehen das so: „Gewiss sind insbesondere in den Werken des 19. Jahrhunderts, wie der Venus von Bartolini und auch der Ariadne von Dannecker die höheren Anteile an Erotik zu verspüren – bewusst wenden sie sich auf sinnlichere Weise an den Betrachter.“ Die Künstler hätten die nackten Körper aber „als Idealschönheiten verstanden – als Kunstfiguren. Der nur in geringem Maß vorhandene Realismus wäre jedoch notwendig, um die Figuren erotisch aufzuladen.“ Außerdem: „Die in der Kunst zu sehende Nacktheit war zudem eben nicht eine Darstellung 'mit Haut und Haar', sondern überführt in Medien wie Marmor oder Ölfarbe.“
Neu war die Rückbesinnung auf alte Griechen und nackte Körper nicht. Schon die Renaissance hatte auf die Antike gesetzt – und um 1500 eine Revolution ausgelöst, die noch heute nachwirkt. Eine derartige Wirkung entfaltete der Klassizismus nicht. Die Romantiker hatten gleich darauf völlig andere Ideen.
Die Ausstellung
Das Museum Städel in Frankfurt (Schaumainkai) widmet sich in der Schau „Schönheit und Revolution“der Epoche des Klassizismus. Die in Zusammenarbeit mit der Liebieghaus-Skulpturensammlung entstandene Ausstellung versammelt rund 100 Werke aus der Zeit von 1770 bis 1820. Zu sehen sind unter anderem Arbeiten von Thomas Banks, Antonio Canova, Jacques-Louis David, Jean-August Ingres, Johann Gottfried Schadow und Bertel Thorvaldsen.
Skulpturen, Gemälde und Grafiken aus internationalen Sammlungen zeigen den bestimmenden Einfluss der Antike auf die Künstler jener Zeit. Gezeigt wird auch, wie sich Maler wie Johann Heinrich Füssli vom klassischen Ideal lösten und – etwa durch Darstellung der dunklen Seiten von Mythen – den Boden für die Romantik bereiteten.
Öffnungszeiten: Dienstag und Freitag bis Sonntag 10-18, Mittwoch, Donnerstag 10-21 Uhr, bis 26. Mai. Text: hele