Tanzen bis zur Selbstaufgabe, völlig losgelöst, vollkommen eins mit einer Gemeinschaft, dennoch sehr individuell und charaktervoll – dass dies kein Widerspruch sein muss, enthüllte die umjubelte Premiere des Balletts "Naked" von Dominique Dumais am Mainfranken Theater. Als letzter Teil einer Trilogie für das Nationaltheater Mannheim entstanden, kann das Werk nun knapp vier Jahre nach der Uraufführung auch in Würzburg erlebt, erspürt, mit vielen Sinnen erfasst werden.
Allein schon dem Moment, in dem die Cellistin Julia Kent im Randbereich der abgedunkelten Bühne Platz nimmt, wohnt etwas Mystisches inne. Kent wird an diesem Abend mit ihren meditativen und sich intensiv verdichtenden Kompositionen die Live-Musik ins Kunstwerk einschmelzen. Sie bedient sich dabei elektronischer Verstärkung sowie einer Loop Station, die orchestrale Fülle und den Aufbau von gewaltigen Klangtürmen ermöglicht.
Angedeutete Nacktheit
Die zwölf Mitglieder des Tanzensembles treten, wie aus einem Schattenreich geboren, durch zwei Öffnungen aus dem mit leichten, lichtundurchlässigen Stoffbahnen verhüllten Bühnenhintergrund. Dann beginnt genau das, was Dominique Dumais als Grundidee für ihr Ballett beschreibt: Ein Spiel mit Körpern und deren Anatomien, mit Muskelgruppen, Haut, angedeuteter Nacktheit, ein Wellenschlagen, ein zitternder Bewegungsfluss, der sich durch den gesamten Abend zieht und ihn spannend von der ersten bis zur letzten Sekunde macht.
Und obwohl auf der Bühne ständig viel Bewegung ist, verströmen die 75 Minuten viel Ruhe. Grazie und Eleganz geben sich die Hand mit schlangenhafter Akrobatik und Ekstase. Es ist ein permanenter Strom an ganz persönlicher Energie und Aura der Tänzer, die mit den durch die Stoffbahnen geschaffenen Räumen spielen, sich in diesen verlieren und wiederfinden.
Auch die Hüllen der Bühne fallen
Und wie sich die Körper zu häuten scheinen, indem sie sich luftiger Stoffe entledigen, lässt auch die Bühne ihre Hüllen nach und nach fallen, entblößt sich das so angenehm puritanisch gehaltene Bühnenbild von Tatyana von Walsum zur Gänze. Ganz starke Posen und Bilder entstehen, immer wieder auch verspielt und witzig, beschwörend-ritualhafte Abläufe entwickeln sich, Trance und Freude liegen dicht beieinander.
Man konnte sich verlieren in diesem traumhaften Abend, selbst zu dem "Sternenstaub" werden, den die großartigen Tänzer in ihren vielen Muttersprachen in die Loop Station hauchten und zu einem unendlichen Kosmos verwoben. Unbeschreiblich, fesselnd, magisch, erlebenswert!