Miami ist mehr. Sonne, Strand und Party – ja, aber „wenn du Miami wirklich verstehen willst, musst du dir erstmal eine Sache klarmachen“, lässt Tom Wolfe (81) seinen fiktionalen Bürgermeister der Metropole im Südosten der USA sagen. „In Miami hasst jeder jeden.“
Wolfe, dessen 1987 erschienener Debütroman und Weltbestseller „Fegefeuer der Eitelkeiten“ als beispielhaftes New-York-Buch gilt, ist mit seinem neuen Roman ausgezogen, eine weitere Stadt in ihre Einzelteile zu zerlegen – diesmal hat er sich in seiner bissigen Satire die zerrissene Einwanderungsgesellschaft in Miami vorgenommen. „Back to Blood“ lautet der patriotisch und sehr nach Hollywood-Film klingende Titel. Es ist ein Zitat aus Wolfes Roman „Fegerfeuer der Eitelkeiten“, das aus dem Mund eines Weißen einer Schwarzen gegenüber die Trennung der Ethnien zementierte. Das 700-Seiten-Werk, das in den USA bereits erschienen ist, kommt unter diesem Titel am 28. Januar auch auf Deutsch heraus.
Und wie in Hollywood legt „Back to Blood“ auch gleich los: Mit einem spektakulären und lebensgefährlichen Stunt rettet der Polizist Nestor Camacho einen kubanischen Flüchtling von einem 20 Meter hohen Schiffsmast in der Bucht vor Miami. Dem Flüchtling droht daraufhin die Abschiebung, der selbst kubanisch-stämmige Camacho wird mit seiner Tat in seinem Viertel zum Verräter und gehassten Mann. Als sich dann auch noch seine ebenfalls kubanisch-stämmige Freundin von ihm trennt, weil sie lieber mit Hilfe neu gewonnener weißer Freunde die soziale Status-Leiter hinaufklettern will, ist Camacho ganz unten angekommen.
Herkunft (also das Blut, engl. blood), so macht Wolfe klar, bedeutet in Miami – „der einzigen Stadt der Welt, deren Bevölkerung zu mehr als 50 Prozent aus frisch Eingewanderten besteht“ – alles. Der Altmeister der US-Literaturszene hat für sein Werk akribisch in der Florida-Metropole recherchiert. „Diese Stadt ist zerteilt in Nationalitäten, Rassen und ethnische Gruppen.“ Auf dieser Basis werden Jobs, Wohnungen und Respekt vergeben, Freundschaften geschlossen und Rivalitäten besiegelt.
Camacho, der sich unter den wachsamen Augen der lokalen Presse erst mit den Kubanern anlegt und dann auch noch einen schwarzen Drogendealer im Kampfgewirr rassistisch beschimpft, bringt das mit viel Anstrengung ruhig gehaltene explosive Gemisch zum Brodeln. Als „Ein-Mann-Rassenaufstand“ beschimpft ihn der Bürgermeister. Dabei ist Wolfes Hauptfigur kein Rassist, sondern eigentlich ein wohlmeinender, sanfter Polizist.
Aber an ihm lässt sich gut die komplexe Struktur des Pulverfasses Miami aufzeigen und die alles überlagernde Oberflächlichkeit, die einmal im Jahr hinter aufgesetzter Kultiviertheit verschwindet – immer im Dezember, wenn die Kunstmesse „Art Basel Miami Beach“ wieder Millionen Dollar mit zeitgenössischer Kunst umsetzt.
Tom Wolfe: Back to Blood (Blessing, 768 Seiten, 24,99 Euro)