Muss ein schwieriger Mensch gewesen sein, dieser Adolf Hölzel, auf jeden Fall ein vielschichtiger. Er ist ein radikaler Neuerer, und doch fürchtet er nichts so sehr wie öffentliche Kritik. Er ist ein gefragter und erfolgreicher Lehrer (zu seinen Schülern zählen Willi Baumeister, Johannes Itten, Emil Nolde oder Oskar Schlemmer), und doch bringt er nie ein Lehrbuch zustande. Er zerbricht sich den Kopf über Gesetze und Regeln der Kunst im allgemeinen und der Farbe im Besonderen, und doch strebt er nichts so intensiv an wie die möglichst direkte Umsetzung der "Empfindung" (heute würde man sagen: des Unbewussten) in seinen Bildern.
Ganz bewusst folgt Hölzel direkt auf Schiele
Das Schweinfurter Museum Georg Schäfer widmet dem Maler Adolf Hölzel seine aktuelle Sonderausstellung – bewusst im Anschluss an die große Schiele-Schau, Hölzel und Schiele gehören zwar unterschiedlichen Generationen an, sind dennoch Zeitgenossen und so etwas wie künstlerische Antipoden. Während Schieles Kunst vor allem Selbsterkundung ist, strebt Hölzel das genaue Gegenteil an. Sein Credo: "Das Werk steht höher als der Mensch. Wer es geschaffen hat, ist nicht von Belang." Sein Weg: die Auflösung der figurativen Form zu Gunsten einer allgemeingültigen (Farb-)Ordnung. Der Titel der Ausstellung ist deshalb im Grunde selbsterklärend: "Farbharmonie als Ziel - Adolf Hölzel auf dem Weg zum Ungegenständlichen".
Die rund 100 Ausstellungsobjekte – Zeichnungen, Gemälde, Pastelle, Fenster, Fotografien, Skizzen, Collagen, Bücher der Adolf-Hölzel-Stiftung und aus Privatbesitz – porträtieren einen Künstler, der in seinem Werk eine ungeheure Wegstrecke zurücklegt. Dessen Leben 1853 vor Entstehen der Donaumonarchie (1867) beginnt und erst 1934 endet, kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten also. Unbestritten ist er einer der Wegbereiter der Moderne, Lehrer einiger Bauhaus-Meister, allerdings wohl eher nicht "der Vater der Abstraktion", wie die amerikanische Kunsthistorikerin Peg Weiss 1982 schrieb.
Wolf Eiermann jedenfalls, Leiter des Museums und Kurator der Ausstellung, hält das mutmaßlich 1905 gemalte Bild, das Peg Weiss als Beleg anführt, für nicht völlig abstrakt und außerdem möglicherweise für rückdatiert – bei Hölzel sind viele Datierungen ungesichert. Allerdings interessiert ihn der kunsthistorische Superlativ ohnehin nicht besonders, Eiermann ist vielmehr von der vielfach noch unerforschten, ja rätselhaften prismatischen Persönlichkeit Adolf Hölzels fasziniert. Und von der Frage, wie sehr diese sich in dessen Bildern spiegelt.
Geboren in Olmütz im heutigen Tschechien, wächst Hölzel in Wien auf, studiert dort und in München gegen den Widerstand des Vaters Kunst und lebt danach als freischaffender und privat unterrichtender Maler in Dachau. 1905 erreicht ihn ein Ruf an die Kunstakademie Stuttgart. Dort ist man auf seine frühen Arbeiten aufmerksam geworden. Hölzel kann in jedem Stil malen - von altmeisterlich bis impressionistisch.
Die Ausstellung belegt das in einem Raum, der wirkt, als hätten ihn mindestens vier verschiedene Künstler bestückt. Ein impressionistisches Bauernpaar, ein Schneebild in niederländischer Manier, eine menschenleere Straße, die von Edvard Munch stammen könnte. "Das ist ein Maler, der alles kann, ein richtiges Chamäleon", sagt Eiermann, "der sich dabei aber nicht wohlfühlt". Jedenfalls: Die Stuttgarter sehen in diesen konventionellen Arbeiten Hölzels Eignung zum Professor, da ist dieser aber längst in eine ganz andere Richtung unterwegs. "Er ist eine Art Kuckucksei", sagt Eiermann.
Die Ausstellung beginnt am Ziel, wenn man so will. Mit den spätesten Arbeiten, die Hölzel nach dem Rückzug ins Privatleben 1918 geschaffen hat. Schwarz eingefasste Farbflächen, die keinerlei gegenständliche Anhaltspunkte mehr liefern. Sie scheinen das Informel vorwegzunehmen und erinnern an Arbeiten, wie sie erst wieder in den 1950er und 1960er Jahren entstehen werden. "Hölzel hat vor allem die übernächste Generation beeinflusst", sagt Eiermann.
Farbfelder, übergangslos ineinandergefügt wie steinzeitliche Mauern
Es sind meist Pastelle, deren Farbfelder übergangslos ineinandergefügt sind wie steinzeitliche Mauern. Sie sind scheinbar auf den ersten Blick zu erfassen, doch wer innehält, wird sich schnell verlieren in Bezügen, Kontrasten, Spannungsfeldern, die plötzlich ganz eigene Geschichten zu erzählen scheinen. Hier hat die Farbe die Herrschaft endgültig übernommen.
Zwischen den Bildern aus der Chamäleon-Phase und diesen späten Arbeiten gibt es aber noch die vielen ungeheuer vielschichtigen Bilder, die Licht, Form und Farbe immer neu zusammenstellen und dabei dem Auge jede Menge Anhaltspunkte liefern, die es als gegenständlich interpretieren könnte. Aber nicht muss. Titel wie "Wallfahrt mit großem Stadtbild" oder "Die Menschheit in Licht und Schatten" stehen dabei in Klammern – sie stammen mit großer Sicherheit nicht von Adolf Hölzel, sondern von Sammlern oder aus der Familie. Hölzel selbst spricht meist nur von "Komposition".
Oft erinnern die Arbeiten mit den dicken schwarzen Trennlinien an farbige Fenster. Kein Zufall, Adolf Hölzel hat einige Fenster geschaffen, unter anderem Ende der 1920er Jahre für das Stuttgarter Rathaus. Die wurden von den Nationalsozialisten, denen Hölzel als "entartet" galt, alsbald wieder ausgebaut. Weswegen sie sich erhalten haben – das Rathaus brannte im Krieg völlig aus und wurde 1956 durch einen Neubau ersetzt. In Schweinfurt sind nun drei dieser Fenster zu sehen - zum ersten Mal überhaupt haben sie als Leihgaben Stuttgart verlassen.
Museum Georg Schäfer, Schweinfurt: "Farbharmonie als Ziel – Adolf Hölzel auf dem Weg zum Ungegenständlichen. Bis 1. Mai. Öffnungszeiten: Di. 10-20 Uhr, Mi.-So. 10-17 Uhr.