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WÜRZBURG
Mozarts Kunst als Einladung zur Freude
Nicht allen Klassikfreunden gilt der eher hallige Kaisersaal der Würzburger Residenz als geeigneter Konzertraum. Das Freiburger Barockorchester jedenfalls hatte am Freitag nicht die geringste Schwierigkeit, auch dem Zuhörer in Reihe 10 noch die feinste Verschrobenheit Haydns oder Mozarts knackig und farbig zu Bewusstsein zu bringen.
Foto: Silvia Gralla | Nicht allen Klassikfreunden gilt der eher hallige Kaisersaal der Würzburger Residenz als geeigneter Konzertraum.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 27.04.2023 04:15 Uhr

Was ist Reife? Diese Frage stellt das Mozartfest 2017. Wie sich herausstellt, ist sie ebenso brisant, wie das Motto des vergangenen Jahres: Mozarts Europa. Jedenfalls fiel es Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt in seiner Rede zum Eröffnungskonzert des Festivals am Freitag im Kaisersaal der Residenz nicht schwer, eine Verbindung zwischen beiden Mottos einerseits und eine zur aktuellen Weltlage andererseits herzustellen: Es scheinen unreife Politiker auf einigen Sesseln platzgenommen zu haben, konstatierte Schuchardt in Anspielung auf Brexit und Trump und in Gegenwart der Generalkonsulin der Vereinigten Staaten.

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Trump kann vermutlich nicht viel mit Mozart anfangen

Ob die Diplomatin den Hieb verstanden oder gar kommentiert hat, ist nicht bekannt, dass ihr oberster Dienstherr sich herzlich wenig um das unbegreifliche Phänomen Mozart schert, kann allerdings als gesichert angenommen werden.

Mozart, der sein 36. Lebensjahr nicht vollenden konnte, der in seiner Kunst schon als Kind eine Reife erlangte, die uns heute noch staunen macht. Und immer wieder überrascht.

Fünf Tänze, die militärischen Pomp auf die Schippe nehmen

Die Fünf Kontretänze KV 606 etwa, entstanden vermutlich 1788, also drei Jahre vor Mozarts Tod, sind pointierte Aphorismen voller Absicht und Witz. Ausgehend von Motiven aus „Non piu andrai“ aus dem „Figaro“, scheinen sie in ihrer ganz eigenen Klangwelt ohne Bratschen militärischen Pomp auf den Arm zu nehmen.

Das fabelhafte Freiburger Barockorchester hatte schon mit der Sinfonie Nr. 70 in D-Dur von Joseph Haydn den Ton vorgegeben: größtmögliche Griffigkeit, sportliche Tempi, und eine beinahe verschwörerische Lust am Zusammenspiel.

Plötzlich erscheint der Kaisersaal als idealer Konzertsaal

So ist nach wenigen Takten die erste Verblüffung perfekt: Wie hat man je der Meinung sein könnten, dass dieser Kaisersaal mit seiner Überakustik für derlei Unterfangen ungeeignet sei? Die Freiburger haben nicht die geringste Schwierigkeit, auch dem Zuhörer in Reihe 10 noch die feinste Verschrobenheit Haydns knackig und farbig zu Bewusstsein zu bringen.

Erstaunlich, wie Konzertmeister Gottfried von der Goltz mit eigentlich wenig aufwendigen Bewegungen auch die vertracktesten Übergänge organisiert. Das mag zum einen an seiner offenkundigen Ausstrahlung liegen, seiner bannend musikantischen und natürlichen Art, die Geige zu handhaben, sicher aber auch an der Tatsache, dass alle Musikerinnen und Musiker hellwach sind. Im Grunde wirkt jede und jeder wie ein Solist – das Ergebnis ist wohl gerade deshalb frappierend homogen.

Christiane Karg zeigt, dass sie das Zeug zum Publikumsliebling hat

Christiane Karg, dieses Jahr „Artiste étoile“, passt da gut hinein: Die energiegeladene Sopranistin musiziert mit verwandter Ausstrahlung, Natürlichkeit und Präzision und zeigt nach anfänglich vielleicht ein wenig viel Vibrato sehr schnell, dass sie das Zeug hat, hier zum Publikumsliebling zu werden.

In den Arien aus Mozarts „Mitridate“ und „Il re pastore“ und in einem „Exultate, jubilate“ (jauchzet, jubelt), dessen Titel man wörtlicher nicht nehmen könnte, präsentiert sie ein erstaunliches Ausdrucksspektrum, ob bei Koloraturen in eher undankbarer Mittellage, im wunderbar intimen Dialog mit dem großartigen, im Programm nicht aufgeführten (Natur-)Hornisten Gijs Laceulle oder in der schieren Lust am gemeinsamen Drive mit dem Orchester.

Die winzige, vielbeschmunzelte Geste, mit der sie den zum tosenden Applaus überreichten Weinkarton tätschelt, zeigt wiederum, wie sehr sie sich ihrer Wirkung auf der Bühne bewusst ist.

An der Prager Sinfonie ist nur die Einleitung düster

Viele Dirigenten neigen dazu, die Stimmung der schwarzen Don-Giovanni-Gewitterwolke auf die ganze Prager Sinfonie auszudehnen. Mitunter klingt dieses zentrale Werk in Mozarts sinfonischem Schaffen, obwohl in D-Dur geschrieben, wie durchgängig in Moll. Die Freiburger rücken hier einiges zurecht: Das Adagio kommt mit aller gebotenen Düsternis, scharfkantigen Dissonanzen und unerbittlich abgründigen Zuspitzungen. Doch dann diese coolen Synkopen, die das Allegro einleiten.

Ab jetzt ist alles Eleganz, Leichtigkeit, Wärme, Spaß. Vielleicht ist das die wahre Reife: Das Leben als wunderbares Geschenk und Mozarts Kunst als Einladung zur Freude daran. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger.

Der Bayerische Rundfunk hat das Konzert live übertragen, im Netz kann man es hier nachhören.

 
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