Ein Mozartfestkonzert ganz ohne Musik von Mozart ist an sich nichts Ungewöhnliches. Im Würzburger Dom unternahmen die Programmgestalter jedoch einen weit reichenden Ausflug ins späte 19. Jahrhundert und in die Moderne, der die große Interpretationsbreite der diesjährigen Mozartfest-Mottos "Mozart – ein Romantiker?" aufzeigte.
Es war Christoph Eß, einer der aktuell führenden Hornisten seiner Generation, der zu Beginn mit Olivier Messiaens "Appel interstellaire für Horn solo", dem sechsten Satz aus "Des Canyons aux Étoiles", die Aufmerksamkeit zentrierte. Damit brach er in unendliche Weiten auf, ließ Farben und Klänge funkeln, spielte mit interstellarem Glitzern. Den Nachhall nutzend trat er quasi in Dialog mit sich selbst: Welten taten sich auf, klingt so der Kosmos? Unwillkürlich fühlt man sich in einen der Skyspaces des Licht-Raum-Künstlers James Turrell versetzt, die Sinne schärfen sich, man lauscht dem Gesang der Sterne.
Den Bamberger Symphonikern unter ihrem Chefdirigenten Jakub Hrusa oblag es, die vielen Konzertbesucher danach in Anton Bruckners Sinfonie Nr. 4 Es-Dur ("Romantische") eintauchen zu lassen. Und was Hrusa an musikalischer Architektur ins Kirchengebäude fügte, war von Anfang an überwältigend und eindrucksvoll. Die weihevolle Ruhe, die mit den ersten Takten der Bruckner-Sinfonie in den Raum strömte, das Sich-Fügen zu einem großen, mächtigen und gewaltigen Ganzen durchströmte körperlich spürbar die Weite des Kirchenschiffs, kam der Entstehung einer eigenen Welt gleich und zog sich durch den gesamten Abend.
Anflutungen von monumentaler Kraft, sehnsuchtsvoller Empfindung, zärtlicher Umarmung, sanft pulsierender Emotion umhüllten den Hörer. Aus düsterer Grundhaltung im Andante quasi Allegretto entwickelten die Musiker eine gebetshafte, fast rituelle Meditation, gespielt mit größtmöglicher Ehrfurcht vor der Würde der Musik.
Von überall her purzelte die Musik
Sternstundenhaft das Scherzo, in dem sich inmitten all der Jagdsignale akustisch Umgewohntes entwickelte. Viele solistische Motive leuchteten glasklar aus dem Orchesterorganismus, als säße jeder Musik in einem ganz persönlichen Schalltrichter. Von überall her schienen die Musik zu purzeln, sich einzufügen in ein absolut geschlossenes Klangbild, einen Naturkosmos voll züngelnder Energie.
Wie ein unverrückbares Machtwort in diesem Spiel setzte Jakub Hrusa den Beginn des Finales, in welchem es ihm gelang, die vielfältigen Episoden und Charaktere differenziert in Licht und Schatten zu tauchen und den unendlichen Faden der Brucknerschen Fantasie schlüssig fortzuspinnen. Nach diesem Erlebnis hätte man auch schweigend verharren und allein so der großartigen Leistung der Bamberger Symphoniker Respekt zollen können, doch spontan brach sich minutenlanger Applaus Bahn.
Nachklänge im Museum am Dom
Der "Nachklänge im Echoraum" im Museum am Dom hätte es nicht bedurft – oder doch? Erfüllt und gesättigt war man von Messiaen und Bruckner, doch dann konnte man gemeinsam mit dem Lassus Quartett (Joel Bardolet und Antonio Viñuales, Violinen, Adam Newman, Viola, und David Eggert, Violoncello) nochmals zu den Sternen reisen. Luigi Nonos "Fragmente – Stille, An Diotima" schlossen den Kreis zu Messiaen.
Die Hölderlin-Fragmente, die dem Werk zugrunde liegen: für den Hörer nicht nachvollziehbar. Die 40-minütige Komposition: ein zeitloser unendlicher Sternenstaub, Leere, Ruhe, gespenstisches Wispern. Die Leistung der Musiker: Einfach großartig! Absolute Konzentration, Gleichklang, Verinnerlichung – man wagte kaum zu atmen. Den Besuch des Nachklangs war es wert.