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WÜRZBURG
Mozart war kein Blumenkind
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:07 Uhr

„Auch das Klavier kann singen – wenn der Pianist es wünscht.“ Sätze wie dieser sind typisch für Alfred Brendel. Auf den ersten Blick eine einfache, scheinbar selbsterklärende Aussage, auf den zweiten ein Statement von erheblicher Tragweite. Vor allem aber von hintergründigem Humor. Brendel sagt nicht „. . .wenn der Pianist es kann“. Das setzt er voraus. Anders gesagt: Er setzt den Willen des Pianisten voraus, dass das Klavier singen können möge und dass der Pianist sich deshalb selbstverständlich qua Arbeit in die Lage versetzt, das Klavier singen zu lassen.

Kit Armstrong, Jahrgang 1992, ist ein solcher Pianist und deshalb idealer Partner, um bei dieser sonntäglichen Mozartfest-Matinee im ausverkauften Fürstensaal der Residenz am Flügel die Thesen zu verklanglichen, die Brendel in seinem Buch „A bis Z eines Pianisten“ formuliert hat.

Armstrong, „Artiste étoile“ des Mozartfests 2016, wird ihnen allen gerecht: dem Architekten wie dem Poeten Bach, dem Tastenlöwen wie dem Grübler Liszt, dem Musikanten wie dem Neuerer Mozart.

Die Kapitelüberschriften des Buchs sind Stichworte. „Bearbeitung“ etwa, „Liszt“, „Mozart“, oder „Cantabile“ (siehe oben). Der Untertitel „Ein Lesebuch für Klavierliebende“ ist gewissermaßen irreführend. Denn Brendel, Jahrgang 1931 und einer der großen Pianisten des 20. Jahrhunderts, war und ist wie kaum ein Solist in der Lage, über den Horizont des Instruments hinauszublicken.

Das Ende alter Dogmen

Umso fundierter kann er deshalb überkommene Dogmen ad acta legen, wie jenes, dass man Bach nicht auf dem modernen Flügel spielen dürfe. „Das ist ein überwundener Standpunkt“, sagt Brendel, und verweist auf die Möglichkeiten des Flügels: Auf ihm und nur auf ihm kann der Musiker einzelne Stimmen hervorheben, orchestral spielen, Atmosphäre schaffen und – eben – singen.

Bezeichnenderweise hat er als Klangbeispiel für das Kapitel „Cantabile“ nicht einen Schubert oder einen Brahms gewählt, sondern einen Bach. Eine zweistimmige Invention, die Kit Armstrong mit so natürlicher Gesanglichkeit vorträgt, dass sich mit Sicherheit niemand im Saal ein Cembalo herbeiwünscht.

Kann Musik ohne die Hilfe von Worten komisch sein? Sie kann – und zwar seit Haydn. „Dass Haydn den Humor in die absolute Musik eingeführt hat, bleibt eine seiner Großtaten“, sagt Brendel. Armstrong spielt dazu das Allegro molto aus Haydns Klaviersonate C-Dur Hob. XVI:50, in der immer wieder „unerklärlich“ (Brendel) H-Dur-Akkorde auftauchen. An einer Stelle hat Haydn sogar das Lachen selbst hineinkomponiert, Brendel macht es mimisch mit.

Mozart hat seinen Sinn für Komik vor allem in den Opern mithilfe der Handlung ausgelebt, Haydn und Beethoven hingegen haben Komik mit Verstößen gegen die klassische Ordnung erzeugt. Was wiederum erklärt, warum sich die Romantiker mit Humor eher schwertun: Wo sich die Regeln ohnehin auflösen, kann man nicht gegen sie verstoßen.

Hinzu kommt, dass vielen Menschen das Lachen nicht nur im Zusammenhang mit Kunst schon immer suspekt war. Platon wollte es gar verbieten, und bis heute wird Reife mit Ernst gleichgesetzt und nicht mit Witz. „Man gesteht der Musik das Seufzen zu aber nicht das Lachen“, seufzt Brendel.

Ehrenrettung für Franz Liszt

Es sind meist kurze Abschnitte, die Alfred Brendel vorträgt. Jeder Satz bringt einen Gedanken auf den Punkt, kein Wort zuviel, kein Moment der Unbestimmtheit. Zur Ehrenrettung des Komponisten Franz Liszt braucht es nicht viel mehr als das Zugeständnis, dass dessen Werk durchaus von uneinheitlicher Qualität sei und dass es bei Liszt wie bei keinem anderen Komponisten auf den richtigen Interpreten ankomme. Und ein Hörbeispiel: „Mosonyis Grabgeleit“, eines von Liszts „bestürzendsten“ (Brendel) Werken, kompromisslos kantig, abgründig und nur ganz zum Schluss mit einer ganz winzigen Hoffnung in angedeutetem Dur.

Doch dann natürlich Mozart. Von dem Busoni gesagt hat, „er kann sehr viel sagen, aber er sagt nie zu viel“. Oder: „Er ist nicht simpel geblieben und nicht raffiniert geworden.“ Mozart, dessen Vollendetheit seine Zeitgenossen nicht in der Lage waren wahrzunehmen, weil sie damit beschäftigt waren, sich über seine Neuerungen und Regelverstöße zu empören. Die aberwitzig chromatischen Passagen etwa im Menuett D-Dur aus KV 355 oder der Gigue G-Dur aus 574. „Unglaubliche Stücke“, sagt Brendel.

Dass man Mozart im 19. Jahrhundert wegen „des rechten kindlichen Sinnes“ mit Raffael verglich, hält Brendel für ein Missverständnis, die Gleichsetzung mit Shakespeare leuchtet ihm mit Blick auf die Da-Ponte-Opern hingegen ein.

Dass Mozart nichts mit dem putzigen Perückenengel auf den Mozartkugeln zu tun hat, ist heute Allgemeingut. Was er stattdessen ist, das kann Alfred Brendel mit wenigen Sätzen umreißen. „Mozart war kein Blumenkind. Seine Rhythmen sind weder weich noch vage. Noch im kleinsten Ton ist Rückgrat.“ Und für die Klaviersonaten mit ihrer gnadenlos exponierten und exponierenden Melodik gilt weiterhin ein Satz Artur Schnabels: „zu leicht für Kinder, zu schwierig für Künstler“.

 
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