
Wertheim“, schwärmte Otto Modersohn, „ist wirklich ein entzückendes Nest; hoch malerisch und urgemütlich.“ Und nicht nur die Stadt an der Mündung von Tauber und Main, über der malerisch eine Burgruine thront, begeisterte den westfälischen Maler. Mainfranken hatte es ihm generell angetan: „Am 1. Mai traten wir unsere Reise nach dem Main an, die uns unvergeßliche Eindrücke brachte und vielleicht meine schönste Reise war“, notiert Otto Modersohn 1916 in sein Reisetagebuch.
In den Jahren 1916 bis 1927 ist Otto Modersohn (1865 bis 1943) siebenmal zwischen Iphofen und Wertheim unterwegs. Die Reisen – sie dauerten zwischen eineinhalb Wochen und zweieinhalb Monaten – sind nicht nur dazu da, Land, Leute und Städtchen kennenzulernen und zu genießen. Modersohn entwickelt auch seinen Malstil weiter. Er wolle „die Naturformen zu Trägern meiner Ideen machen“, scheibt er 1921 in einer Tagebuchnotiz, das „Stoffliche müsse man ganz überwinden“.
Den Boden naturalistischer Landschaftsdarstellung hat er mit diesen Überlegungen verlassen. Und: Auch die Zufälligkeiten des Lichts – von den Impressionisten zum Bildinhalt geadelt – interessieren ihn nun weniger. Wie schon Cézanne, geht Modersohn den Weg zur farblich bewusst gestalteten, eher blockhaften Form. Derartige Ideen kratzen schon am malerischen Programm des Kubisten – und das sehr frühzeitig.
Zudem werden die Bilder stärker mit Bedeutung aufgeladen, als das bei den Impressionisten der Fall war, die eher an der Oberfläche klebten. Manches Modersohn-Bild weist auch in Richtung des damals revolutionären Expressionismus – ein Weg, den auch Vincent van Gogh und Paul Gauguin gegangen waren. Der Wechsel im Denken und im Stil sei bei den Werken zu spüren, die in Wertheim und Umgebung entstanden, sagt die Kunsthistorikerin Dr. Constanze Neuendorf. Sie weist auf die Bilder, die im Grafschaftsmuseum Wertheim hängen (siehe Kasten unten). Obwohl die Reisen ins Fränkische für den Entspannung suchenden Menschen wie für den Maler Otto Modersohn wichtig waren, sei es „relativ unbekannt“, dass Modersohn auch in Franken gemalt hat, so die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Museums.
Seinen Platz in der Kunstgeschichte verdankt der vor 150 Jahren (am 22. Februar) im westfälischen Soest geborene Otto Modersohn der Künstlerkolonie Worpswede. Modersohn gründete sie 1889 zusammen mit Fritz Mackensen, der mit ihm an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert hatte. Dort, im Teufelsmoor nordöstlich von Bremen, traf sich die Creme de la Creme der damaligen Kunstszene. Und: Otto Modersohn ist bekannt als Gatte von Paula Modersohn-Becker, die, 31-jährig, im Jahr 1907 im Wochenbett starb. Paula Modersohn-Becker gilt unbestritten als Vorreiterin der Moderne. Otto dagegen eher als bodenständig und brav. Im direkten Vergleich mag das stimmen – bei allen modernen Ideen, die Otto Modersohn hatte, sollte man ihn aber nicht nur als „Mann der berühmten Paula“ ansehen.
Zwar überwiegen, wenn man sich im Wertheimer Museum umschaut, konventionell wirkende Landschaften: Taubertal, Iphofen und immer wieder Wertheim. Doch auch wer ihn lediglich als spätimpressionistisch angehauchten Landschafter sieht, sollte Otto Modersohn nicht unterschätzen: „Er konnte mit wenigen Mitteln Stimmung einfangen“, sagt Constanze Neuendorf und zeigt auf eine Taubertal-Ansicht.
Fünf der 16 Gemälde im Wertheimer Museum zeigen Würzburg-Motive, darunter Ansichten der Festung, gesehen vom „Gut zur Neuen Welt“. Aus ähnlichen Blickwinkeln malt später auch Erich Heckel die Festung. Auch er ist Gast auf der „Neuen Welt“. Die Würzburger Malerin Gertraud Rostosky schart Künstler und Intellektuelle um sich. Das Gut oberhalb von Würzburg ist Zentrum des geistigen und künstlerischen Lebens in Würzburg. Modersohn und seine dritte Frau, Louise Modersohn-Breling, sind 1924 da. Arg wohl fühlen sie sich offenbar nicht. Als das Paar Richtung Wertheim reist, notiert der Maler glücklich: „Unser altes Zimmer bei Frl. Hettinger in Kreuzwertheim war sehr angenehm; die Freiheit nach dem Zwange in Würzburg behagte uns besonders.“
Otto Modersohn – Kennzeichen Vollbart und Nickelbrille – ist fleißig, ist beinahe besessen von seiner Arbeit. Rainer Noeres vom Modersohn-Museum in Fischerhude schätzt das Gesamtwerk auf rund 12 000 Arbeiten, wie er der Deutschen Presseagentur (dpa) sagte. Nur gut die Hälfte ist bislang im Werkverzeichnis erfasst. Die Arbeit daran sei auch deswegen nicht einfach, weil es viele Fälschungen gebe, so Noeres.
Grafschaftsmuseum Wertheim
16 Bilder von Otto Modersohn sind derzeit im Grafschaftsmuseum Wertheim zu sehen. Die Sammlung wird weiter ausgebaut. Zu sehen sind auch Bilder von Otto Modersohns dritter Frau, Louise Modersohn-Breling, deren Stil dem des Gatten ähnelt. Insgesamt zeigt das Haus an die 30 Werke.
Das Museum, in der malerischen Altstadt von Wertheim gelegen, beherbergt auf mehr als 2200 Quadratmetern in mehreren miteinander verbundenen historischen Häusern eine kulturhistorische Sammlung aus Stadt und ehemaliger Grafschaft Wertheim. Themen sind unter anderem Weinbau, Fischerei, Möbel, historische Kleidung, Münzen, Puppenstuben und Kunst verschiedener Epochen.
Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 10 bis 12 und 14.30 bis 16.30, Samstag 14.30 bis 16.30, Sonntag 14 bis 17 Uhr.