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Meiningen
Mitten im Krieg: Opernensemble aus Kiew gastiert mit Beethovens "Fidelio" in Meiningen
Wenn die Kunst über den Krieg triumphiert: Am 4. Mai gastiert das Modern Music Theatre Kiev mit Beethovens einziger Oper im Staatstheater Meiningen. Wie ist das möglich?
Szenenbild aus der 'Fidelio'-Produktion des Modern Music Theatre Kiev. Regisseur Andrey Maslakov verlegt die Handlung in die Zeit der Stalin-Diktatur.
Foto: Anastasia Maslakova/Yurii Veres | Szenenbild aus der "Fidelio"-Produktion des Modern Music Theatre Kiev. Regisseur Andrey Maslakov verlegt die Handlung in die Zeit der Stalin-Diktatur.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:56 Uhr

Manchmal sind im Theater die Geschichten hinter der Bühne dramatischer als die auf der Bühne. Diese hier dürfte kaum an Dramatik zu übertreffen sein: Am Aschermittwoch saß Jens Neundorff von Enzberg, Intendant des Staatstheaters Meiningen, in Mexiko in einer Jury. Da kam der Anruf eines befreundeten Regisseurs: Ob er an einem Gastspiel aus Kiew in seinem Haus interessiert wäre? Aus der Hauptstadt der Ukraine, des Landes also, das seit Wochen im Bombenhagel erbitterten Widerstand gegen die vermeintlich übermächtige Armee Russlands leistet.

Jens Neundorff von Enzberg war nicht nur interessiert, sondern "total gerührt", wie er sagt. Und so gastiert nun am 4. Mai das freie Modern Music Theatre Kiev mit Beethovens einziger Oper "Fidelio" in Meiningen. Sängerinnen und Sänger sind schon da, Regisseur und Dirigent auch. "Die Ausreisepapiere unterschrieb der Kulturminister höchstpersönlich, in der Ukraine herrscht schließlich Wehrpflicht." Das Bühnenbild kommt noch – es soll in den leeren Fahrzeugen zurückkehrender Hilfsgütertransporte nach Meiningen gebracht werden.

"Die Anfrage aus Kiew ist ein Hilferuf. Die Menschen wollen Kunst machen, sie wollen in der Kunst präsent sein. Sie sind sehr stolz auf die Aktion und brennen darauf zu zeigen, was im Krieg noch möglich ist", sagt der Intendant. Insofern habe die Aufführung einen unglaublich hohen Symbolwert. "Hier sieht man, dass Kunst in der Lage ist, bestimmte Situationen zu überwinden. Mir ist völlig klar, dass Putin die Aktion nicht mitkriegt, aber in der Ukraine ist die Aufmerksamkeit riesengroß." Ebenso übrigens wie bei den Medien in Deutschland und an der Theaterkasse.

'Die Anfrage aus Kiew ist ein Hilferuf. Die Menschen wollen Kunst machen, sie wollen in der Kunst präsent sein.' Jens Neundorff von Enzberg, Intendant des Staatstheaters Meiningen.
Foto: Christina Iberl | "Die Anfrage aus Kiew ist ein Hilferuf. Die Menschen wollen Kunst machen, sie wollen in der Kunst präsent sein." Jens Neundorff von Enzberg, Intendant des Staatstheaters Meiningen.

Nahezu prophetisch ist die Auswahl des Stücks, das nur zwölf Tage vor dem russischen Überfall in Kiew Premiere hatte. Denn "Fidelio", 1805 uraufgeführt, handelt von Freiheit und vom Kampf der Wahrheit gegen Unterdrückung und Machtmissbrauch: Florestan schmachtet im Kerker, weil er kurz davor stand, die Willkürherrschaft des Don Pizarro zu entlarven – die Parallele zu Alexei Nawalny und Putin ist unübersehbar. Florestans tapferer Frau Leonore gelingt es, als Mann – Fidelio – getarnt, ihren Mann zu retten. Zum Schluss sitzt nur noch Don Pizarro, der so viele Unschuldige eingesperrt hatte, im Kerker.

Die Hofkapelle probt statt Mahler und Korngold derzeit Beethoven

Die Kiewer Inszenierung stellt eine weitere Verbindung zu Russland her: Regisseur Andrey Maslakov (Jahrgang 1976, als Bassbariton Mitglied im Ensemble der Ukrainischen Nationaloper Kiew) verlegt die Handlung in ein KGB-Gefängnis zu Zeiten der stalinistischen Diktatur. "Das ist an Tragik nicht mehr zu überbieten", sagt Intendant Jens Neundorff von Enzberg.

Bassbariton und Regisseur: Andrey Maslakov.
Foto: Modern Music Theatre Kiev | Bassbariton und Regisseur: Andrey Maslakov.

Das Orchester stellt Meiningen: Die Hofkapelle verschiebt für den Termin ein Sinfoniekonzert und probt statt Mahler und Korngold derzeit Beethoven. "Wir haben ,Fidelio' hier länger nicht mehr gemacht, einige der jüngeren Orchestermitglieder noch nie", sagt der Intendant. Die ukrainischen Sängerinnen und Sänger wiederum studieren die gesprochenen Dialoge zwischen den Arien auf Deutsch ein – in Kiew wurde zwar in deutscher Sprache gesungen, die Sprechtexte wurden aber auf Ukrainisch dargeboten. "Ich habe ihnen einen Sprachcoach besorgt", sagt der Intendant.

Es besteht die Hoffnung, dass weitere Häuser die Produktion übernehmen

Der Chor wird sich aus Mitgliedern des eigenen Hauses und des Landestheaters Coburg zusammensetzen, mit dem Meiningen kooperiert. Es besteht die Hoffnung, dass weitere Häuser die Produktion übernehmen, Heidelberg etwa, und dass so aus dem einmaligen Gastspiel eine Minitournee entsteht. "In Kiew wird es nach Einschätzung von Regisseur Andrey Maslakov in den nächsten zwei, drei Jahren nicht möglich sein, Oper zu spielen", sagt Neundorff von Enzberg.

Wie an vielen deutschen Theatern arbeiten auch in Meiningen russische und ukrainische Orchester- und Chormitglieder ganz selbstverständlich zusammen. "Da gibt es keine Ressentiments, das ist gelebter Alltag, angenehme Selbstverständlichkeit." Niemand sei im übrigen aufgefordert worden, sich von Putins Krieg zu distanzieren, so der Intendant: "Das machen die von sich aus."

"Fidelio" aus Kiew: Oper von Ludwig van Beethoven. Staatstheater Meiningen, Mittwoch, 4. Mai, 19.30 Uhr.  Kartentelefon (03693) 451 222. www.staatstheater-meiningen.de

 
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