Mit Klang gegen Grenzen anzuspielen, das ist seine Mission. Denn Musik ist das, was er kann, sagt Daniel Barenboim, Stardirigent, Pianist, Friedensaktivist, Idealist. Dabei handelt er nach dem Leitsatz „Das Unmögliche ist oft einfacher als das Schwierige“. Er ist Argentinier, Israeli und palästinensischer Ehrenbürger. Und er hat sich vorgenommen, die Grenzen zwischen Israel und den arabischen Ländern zu überwinden – nicht nur die physischen, auch die gedanklichen. Am Donnerstag, 15. November, wird der Chefdirigent der Berliner Staatskapelle 70 Jahre alt.
Hör- und sichtbarstes Resultat von Barenboims Idealismus ist das „West-Eastern Divan Orchestra“, in dem etwa 100 junge Musiker aus Israel, den palästinensischen Autonomiegebieten und anderen arabischen Ländern zusammen spielen. „Nach zwei Stunden Probe habe ich das Hassniveau auf null reduziert“, sagt der Missionar.
Zwar könne es danach wieder einen Knall zwischen den Musikern geben. „Aber in diesen zwei Stunden haben wir Frieden“, freut sich der Kosmopolit, der 1942 als Sohn russisch-jüdischer Migranten in Argentinien geboren wurde und als Zehnjähriger mit seiner Familie nach Israel auswanderte. Das Orchester habe das Leben aller verändert, die in ihm mitwirkten, so der Maestro. „Ein Israeli und ein Syrer, die während der Probe am gleichen Notenpult gesessen haben, sitzen auch beim Essen nebeneinander und hören sich zu“, sagte Barenboim der Wochenzeitung „Die Zeit“.
Auch die Situation im Nahen Osten und der Arabische Frühling konnten dies nicht torpedieren. Im Gegenteil: Für die diesjährige Saison bewarben sich mehr junge Musiker als jemals zuvor. Die jungen Frauen und Männer aus teils verfeindeten Ländern proben jeden Sommer einige Wochen zusammen, bevor sie auf Tournee gehen. „Man sieht immer wieder, wie ähnlich sie sich alle sind“, sagt Barenboim. „Sie reagieren sehr ähnlich auf die Musik, auf das Wetter, auf das Essen, auf mich.“
Der oft barsche, autoritäre Dirigent bringt die jungen Menschen dazu, seine Leidenschaft zu teilen. Der Klang des Orchesters ist intensiv wie Barenboims Dirigat. Leicht untersetzt und grauhaarig, dabei von einer unglaublichen Energie getrieben, kämpft er sich immer wieder über zahlreiche politische Hürden. Gegen israelischen Widerstand gelang ihm 2005 ein Konzert des „West-Eastern Divan Orchestra“ in Ramallah im Westjordanland. Aus Solidarität mit den Palästinensern trat er im Mai 2011 mit einem Ensemble aus verschiedenen europäischen Orchestern in Gaza auf.
Heftig beschimpft wurde Barenboim, als er 2001 bei einem Konzert mit der Berliner Staatskapelle in Jerusalem als Zugabe die Ouvertüre zu „Tristan und Isolde“ des von den Nationalsozialisten verehrten Richard Wagner darbot. Auch mit seiner schonungslosen Kritik hat sich der UN-Friedensbotschafter nicht nur Freunde gemacht: „Kein Volk hat das Recht, ein anderes zu besitzen, auch nicht das jüdische Volk“, sagte er dem Fernsehsender Arte. „Was dort passiert, das ist Apartheid.“ Feinde mag er seine Kritiker nicht nennen. Doch „es gibt viele, die denken, ich sollte lieber hübsch Klavier spielen und das Maul halten“.
Nichts liegt dem mehrfach für Musik und Friedensengagement ausgezeichneten Dirigenten ferner. Barenboim ist nicht nur Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden, Gastdirigent zahlreicher Orchester und Pianist mit reger CD-Produktion. In Berlin, Ramallah und in palästinensischen Flüchtlingslagern hat er Musikkindergärten gegründet, und er fördert junge Musiker in den Autonomiegebieten. „Eine Stunde Geigenunterricht in Gaza oder Ramallah ist eine Stunde ohne Gewalt“, kommentiert Barenboim. Zudem hat er in Berlin ein Institut geschaffen, in dem junge Israelis, Palästinenser und Deutsche an ihren Instrumenten ausgebildet werden.
Das Orchester, das nach dem „West-östlichen Divan“ Goethes benannt ist, hat Barenboim 1999 mit dem inzwischen gestorbenen palästinensischen Publizisten und Literaturwissenschaftler Edward Said gegründet. „Wir wollten in Ermangelung einer politischen eine menschliche Lösung schaffen“, sagt Barenboim. Im August 2011 spielte das „West-Eastern Divan Orchestra“ in der entmilitarisierten Zone zwischen den beiden koreanischen Staaten.
Nächste Wunschziele des agilen Dirigenten sind der Gazastreifen und der durch die Arabische Revolution berühmt gewordene Tahrir-Platz in Kairo: „Eines Tages werden wir in der Lage sein, in allen Ländern zu spielen, die im Orchester repräsentiert sind, ich glaube daran.“