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WÜRZBURG/LONDON
Mick Jagger machte die Stones zum Geschäftsmodell
Da kann man also fast 70 sein und trotzdem ganz tolle Sachen zum allerersten Mal machen. Sir Michael Philip Jagger war 69 Jahre, elf Monate und drei Tage alt, als er – am Abend des 29.
It's only Rock 'n' Roll: Sir Mick Jagger, Geschäftsmann und Sänger der Rolling Stones.
Foto: dpa | It's only Rock 'n' Roll: Sir Mick Jagger, Geschäftsmann und Sänger der Rolling Stones.
Von unserem Mitarbeiter Steffen Rüth
 |  aktualisiert: 07.01.2016 14:59 Uhr
Mit „Jumpin‘ Jack Flash“ legten die Rolling Stones los, und als sie zwei Stunden später mit „Satisfaction“ ihr Konzert beendeten, war ihr Chef sehr gut gelaunt. „Falls ihr die Band heute zum ersten Mal seht und es euch ein bisschen gefallen hat, dann kommt ruhig wieder“, rief Jagger ins Publikum.

Er denkt gar nicht daran, nach 51 Jahren in Diensten der Stones endlich Rockrente zu beziehen, er macht weiter, genau wie die drei Kollegen. Wieso auch nicht? Es gibt eine Menge Musiker, auch berühmte, die nicht einmal halb so alt sind und weit weniger Energie zu entfachen wissen als Jagger und seine Stones.

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Sein 70. Lebensjahr wird er an diesem Freitag, 26. Juli, in kleinem Kreis vollenden, der Sänger aus Dartford, englische Grafschaft Kent, Vater Lehrer, Mutter Kosmetikerin, zwei Mal verheiratet, zwei Mal geschieden, sieben Kinder von vier Frauen, vier Enkel, seit 2001 mit der Stylistin L’Wren Scott (46) zusammen, geschätzte 230 Millionen Euro Vermögen. Die offizielle Party gab es schon am 13. Juli, nach dem zweiten von zwei Stones-Konzerten im Londoner Hyde Park.

In einem noblen Club in Mayfair knallten die Korken, aber richtig wild war es wohl nicht. Keith Richards, der Intimus und Erzfeind, tauchte gar nicht erst auf, da ihn beim Frischmachen im Hotelzimmer der Schlaf übermannt habe. Jagger selbst harrte bis gegen 1.30 Uhr aus, dann ließ er sich heimfahren. Der Musiker ist ein Disziplinfreak. Neulich erzählte er stolz dem englischen Magazin „Q“, dass er fünf bis sechs Mal pro Woche Sport macht, schwimmt, kickboxt, Fahrrad fährt, läuft, alles mit seinem norwegischen Personal Trainer.

Auch vermeintliche Mädchensportarten kommen nicht zu kurz. Yoga, Pilates, Ballett stehen seit Jahren auf dem Programm. Lohn: ein Jungenkörper, ohne Speck, ohne Bauchansatz, klein, drahtig. Bis heute, wird kolportiert, trage Jagger Jeansgröße 28. Früher war er wilder. Selbst wenn Jaggers Interesse an Drogen mit dem des Kollegen Richards nie wirklich mithalten konnte, hat auch er nichts ausgelassen. So verhaftete man ihn 1967 mit seiner damaligen Freundin Marianne Faithfull während einer Party, beide waren dicht, Faithfull überdies nackt. Nach einem Tag ließ man Jagger wieder frei.

Das Gegenmodell zu den Beatles

„Seit Jahren“, sagte er einmal, „halte ich mich von Alkohol und Zigaretten fern. Ich bevorzuge Tee mit Honig.“ Mick Jagger zählte nie zu den Rockstars, die ihre gequälte Seele mit Rauschmitteln betäuben mussten. „Ich bin frei von Dämonen“, sagt er über sich. Für den einstigen Studenten der „London School of Economics“ ist Rock ’n’ Roll nicht nur Leidenschaft, sondern früh bereits Geschäftsmodell gewesen.

Jagger, der die Rolling Stones seit Jahrzehnten auch managt, hat heute selbstverständliche Vermarktungsmaßnahmen wie Open-Air-Tourneen praktisch erfunden, er ist mitverantwortlich für die Kommerzialisierung von Konzerterlebnissen. Auch dank Jaggers Geschäftssinn kosten Eintrittskarten heute manchmal so viel wie eine Monatsmiete, ohne Jagger („Musiker wurden in den Sechzigern praktisch nicht bezahlt, das mussten wir ändern“) gäbe es heute sehr wahrscheinlich weniger Rocksuperstars, die im privaten Jet von Auftritt zu Auftritt fliegen.

Das Bild der Rolling Stones und ihres Sängers hat über die Jahrzehnte freilich einen öffentlichen Wandel durchgemacht. Zwischen 1962 und 1964 stieg man erstaunlich schnell von der Kellerkapelle zu Großbritanniens beliebtester Band auf, die Rolling Stones galten anfangs als wild und gefährlich und ein wenig anrüchig, sie waren das sexy-draufgängerische Gegenmodell zu den braven Beatles. Man pflegte ein Anti-Establishment-Image, ein gewisses Rebellentum, Jagger sah sich selbst als den – etwa gegen den Vietnamkrieg opponierenden – „Street Fighting Man“ (so der Titel des vielleicht politischsten aller Stones-Songs). Dass er sich jetzt als Anhänger von Margaret Thatcher zu erkennen gab („Sie legte keinen Wert darauf, gemocht zu werden, und das habe ich an ihr bewundert.“), hat indes kaum überrascht, Jagger gilt seit Jahrzehnten als heimlicher Konservativer.

Als die Band in den 70ern kreativ ausblutete, entwickelte sie sich zur großen Geldmachmaschine. Jagger wurde nun mehr als Playboy und weniger als Rockgenie wahrgenommen. Trotz der Ehen mit Bianca Jagger und später mit Jerry Hall ließ er wenig anbrennen – und konnte sexuell mit beiden Geschlechtern etwas anfangen. Eine Liebelei mit David Bowie ist gründlich dokumentiert, Rod Stewart sagte unlängst, er habe Jaggers Avancen („war nicht mein Ding“) widerstanden.

In den 80ern ging es wieder aufwärts, Mick Jagger fand Bestätigung und Abwechslung als Solomusiker, Gelegenheitsschauspieler und Filmproduzent. Vor allem aber hatte er die Stones zu einem mittelständischen Unternehmen ausgebaut, jede neue Tournee fuhr neue Umsatzrekorde ein, seit 2012 läuft die Jubiläumstour „50 & Counting“, die momentan pausiert, aber wohl fortgesetzt wird.

Jagger, Marianne Faithfull 1969
| Jagger, Marianne Faithfull 1969
 
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