Wenn Tränen fließen, die Zornesröte das Gesicht färbt und die Stimmung endgültig zu kippen droht, dann fällt gerne der Satz „Es ist doch nur ein Spiel“. Er beschwichtigt kaum und tröstet nicht. Und die wenigsten Spieler können die titelgebende Aufforderung „Mensch ärgere Dich nicht“ beherzigen. Treffender könnte der Name nicht sein. Denn jedes Mal gibt's mächtig Zoff. Seit gut einem Jahrhundert löst das Spiel heftige Emotionen aus: Wut ebenso wie Schadenfreude. Da fliegen schon mal die Würfel vom Tisch, manchmal sogar das ganze Brett samt den Spielfiguren. Gleichgültig lässt es niemanden, wenn der „Pöppel“ kurz vorm Ziel rausgeschmissen wird. Dennoch setzen sich Millionen Menschen immer wieder an den Tisch – aus Freude am sich Ärgern.
Beinahe wäre „Mensch ärgere Dich nicht“ in Würzburg entwickelt worden. Josef Friedrich Schmidt, der Erfinder des Spiels, wurde 1871 im oberpfälzischen Amberg geboren. Seine erste Frau Johanna Barbara Firnkäs kam in der Domstadt am Main zur Welt. Nach der Heirat ließ sich das Paar 1894 in Würzburg nieder. Dort kam kurz darauf der erste Sohn, Franz, auf die Welt, es folgten Karl und Heinrich.
1901 zog die Familie Schmidt nach München. Sieben Jahre später gelang dem bis dahin eher erfolglosen Kaufmann und Händler der große Wurf. Die Idee zu „Mensch ärgere Dich nicht“ wurde aus der Not geboren: „Die Schmidts lebten in einer engen Wohnung im Armeleuteviertel Giesing. Um seine sicherlich übermütigen Söhne zu bändigen, dachte sich Vater Josef Friedrich im Winter 1907 eine Beschäftigung für sie aus“, erzählt Simone Michel-von Dungern, die Leiterin des Museums Malerwinkelhaus in Marktbreit. Er bastelte ein Spielbrett und schnitzte die Figuren aus Holz. „Mensch ärgere Dich nicht“ ist also bereits 107 Jahre alt. Aber nicht 2007 wurde der 100. Geburtstag gefeiert, sondern erstmals 2010 – und heuer wieder. Das hat seinen Grund.
Das Spiel kam nicht nur bei den Söhnen von Josef Friedrich Schmidt, sondern auch im Bekanntenkreis gut an. Deshalb fasste er 1910 den Entschluss, in seiner Werkstatt erste Verkaufsexemplare herzustellen. Vier Jahre später, 1914, startete Schmidt die erste größere Serienproduktion. Die Firma gibt es bis heute, sie befindet sich allerdings nicht mehr in Familienbesitz, das Firmenarchiv existiert nicht mehr. Es wurde in den 1970er Jahren bei einem Brand zerstört. Das dürfte mit ein Grund sein, warum man über die Anfänge „nichts mehr Genaues weiß und es mehrere Jubiläumstermine gibt“, so Simone Michel-von Dungern. Deshalb steht nach den Feierlichkeiten von 2010 heuer wieder ein rundes Jubiläum an.
Auch die Museumsleiterin ist mittlerweile der Faszination des Spiels erlegen. In den vergangenen Monaten hat sie unermüdlich nicht nur die Anfänge, sondern die gesamte Erfolgsgeschichte erforscht – ohne zu ahnen, dass in diesem Jahr erneut 100 Jahre „Mensch ärgere Dich nicht“ gefeiert werden. Ihre Intention war, erstmals alles rund um das populärste Spiel der Nation in einer Sonderschau im Museum Malerwinkelhaus zu präsentieren – die Vorläufer, die Plagiate, die Abwandlungen.
Bekannt ist, „dass Josef Friedrich Schmidt sich bei seiner Idee von damals in Europa bekannten Laufspielen wie ,Ludo‘ oder ,Eile mit Weile‘ inspirieren ließ“, erzählt Simone Michel-von Dungern. „Er vereinfachte die komplizierten Vorbilder jedoch enorm.“ Die Mutter all dieser Spiele kommt allerdings aus Indien und ist über 2000 Jahre alt: „Pachisi“. „Das kreuzförmige Spielfeld symbolisiert das Weltbild mit den vier Himmelsrichtungen in den entsprechenden Farben: Schwarz für den Norden, Gelb für den Süden, Grün für den Westen und Rot für den Osten“, erläutert die Museumsleiterin. Über englische Reisende soll es einst nach Europa gelangt sein.
Schmidt übernahm die vier Farben von „Pachisi“, variierte jedoch die Reihenfolge mehrmals. Bis auf leichte Modifikationen gleich geblieben sind das gelbliche quadratische Spielfeld sowie die rote Verpackung mit weißem Schriftzug und dem Konterfei eines Mannes im Anzug und mit roter Krawatte, der sich vor Ärger die Haare rauft. Diese Gestaltung stammt von Schmidt. Den Namen „Mensch ärgere Dich nicht“ aber hat er sich nicht selbst ausgedacht. Vielmehr war der Satz eine um 1900 bekannte Redewendung. Sie tauchte auf Postkarten auf, schmückte Bierkrüge oder Schmuckteller. Es war also ein geschickter Schachzug von Schmidt, seinem Spiel diesen Namen zu geben.
Doch anfangs lief es schlecht. Es schien, als sollte der bis dahin glücklose Händler erneut eine Bauchlandung hinlegen. Mit ein Grund dürfte der Ausbruch des Ersten Weltkriegs gewesen sein. Doch dann hatte er eine Idee, die im Nachhinein der Grundstein zum Erfolg wurde. „Weil er auf seinen roten Kartons samt Spiel sitzen blieb, übergab er, teils aus Enttäuschung, teils aus Patriotismus, 3000 Exemplare als Sachspende an Soldaten an die Front und für die Verwendung in Lazaretten“, so Michel-von Dungern. Das Spiel war ein willkommener Zeitvertreib und wurde schnell bekannt. Gegen Ende des Krieges war die Nachfrage so groß, dass Schmidt mit der Produktion kaum hinterherkam. Von da an ging es stetig bergauf. „Mensch ärgere Dich nicht“ eroberte die deutschen Wohnzimmer. Bereits in den 1920er Jahren wurde die Millionengrenze geknackt. In der Nazizeit änderte sich lediglich der Mann auf dem roten Karton – er wurde kurzzeitig blond.
In der Nachkriegszeit entstehen DDR-Ausgaben und amerikanische Fassungen unter „Take it easy“ (Nimm's leicht). In den 1950er Jahren kommt die vierfach gefaltete Reiseausgabe auf den Markt. Ab 1964 werden die Spielfiguren in Kunststoff gefertigt. Auch die Titelfigur auf dem roten Karton verändert sich zeitgemäß. Ab etwa 1976 trägt der Mann eine rot-weiß gestreifte Krawatte. 1997 bricht eine neue Ära an. Das Familienunternehmen geht in Konkurs und wird von der Blatz-Gruppe in Berlin übernommen. „Mensch ärgere Dich nicht“ erlebt jedoch keine Pleite. Laut Simone Michel-von Dungern werden bis heute jährlich noch rund 400 000 Exemplare umgesetzt. Und am besten verkauft sich die App. Spielen und sich dabei heftig ärgern ist eben zeitlos, egal in welcher Ausführung.
Die Ausstellung zum Spiel
Das Museum Malerwinkelhaus in Marktbreit (Bachgasse 2) präsentiert bis 2. November in der Sonderausstellung „Mensch ärgere Dich nicht“ – Das ,populärste Spiel der Nation‘ gestern und heute“ dessen Erfolgsgeschichte. Zu sehen sind frühe Ausgaben der Originalmarke „Schmidt“, aber auch Vorläufer, Nachahmungen, historische Fotos sowie Beispiele aus Werbung, Film und Fernsehen. Unter den vielen Leihgaben aus einer Privatsammlung befindet sich auch eine amerikanische Fassung des Spiels mit dem Namen „Take ist easy“ – Nimm's leicht (siehe Foto). Museumsleiterin Simone Michel-von Dungern hat sich auch ein Preisrätsel ausgedacht und bietet die umfassende Präsentation zudem als Wanderausstellung an. Weitere Informationen unter: Tel. (0 93 32) 59 15 96.
Öffnungszeiten: Donnerstag von 14 bis 20 Uhr, Freitag bis Sonntag und an Feiertagen von 14 bis 17 Uhr. Informationen im Internet: www.malerwinkelhaus.de