Der Zustand des Kritikers nach 90 ununterbrochenen Minuten provokanter Aufklärung mit Konstantin Küsperts grotesker Revue „Sklaven leben“ in den Meininger Kammerspielen: Ratlosigkeit. Kein Wunder, nach der überstrapazierten Synapsentätigkeit in der Verstandesabteilung des Gehirns.
Dem Publikum wird in Juliane Kanns Inszenierung wieder einmal erbarmungslos der berühmte Spiegel vorgehalten, auf dass es sich in der ganzen Jämmerlichkeit zivilisierter Existenz erkenne. Während die Welt außerhalb der eigenen Gesinnungsblasen untergeht, sitzen die Zuschauer bequem in ihren Echokammerspielen und verfolgen ein Theaterstück, in dem sie wieder einmal… (Sie wissen schon). Sollten die Zuschauer vorher das Programmheft gelesen haben, ahnen sie, was sie erwartet: Eine dystopische Revue in Form einer „Dalli Dalli“-Show (Bühne und Kostüme: Vinzenz Hegemann, Videos: Juliane Kann, Sebastian Reiß), ohne Human Touch, ohne Identifikationsangebote. Vier namenlose Moderatoren in weißen Anzügen – Ulrike Walther, Katharina Walther, Matthias Herold und Björn Boresch – wollen das Arm-Reich-Nord-Süd-Gefälle unmissverständlich dorthin transportieren, wo der Verstand waltet.
Es geht offenbar darum, die Schutzräume des Publikums einzureißen
Der Wohlstand eines Teils der Menschheit beruht auf der Ausbeutung des anderen. Soweit begreifbar. Im Spätkapitalismus hatte dieser Zustand seine Perfektion gefunden. Seit aber Internet und soziale Medien die Errungenschaften der Wohlstandsgesellschaft in den letzten Winkel der Welt tragen, sehen die Armen immerfort, was ihnen vorenthalten wird. Kein Wunder also, dass sie sich in Not und Krieg auf den Weg machen, um am großen Kuchen teilzuhaben.
Was aber wäre, wenn Bayern, Hessen, Thüringer als Armutsflüchtlinge in wohlhabenden afrikanischen Staaten strandeten? Solche Szenen sorgen für kurzzeitige Erheiterung, bevor die Moderatoren zum nächsten Thema switchen. Die Inszenierung besteht aus einer atemlosen Aneinanderreihung von Informationen. Für die Schauspieler sind das zwar Meisterleistungen. Zuschauern aber, die sich gerade an einem bemerkenswerten Gedanken festhaken, bleibt keine Chance zum Vertiefen. Man gewinnt den Eindruck, dass es Autor und Regieteam nicht vorrangig darum geht, „die Zuschauer mitzunehmen“, sondern die widerspenstigen Gummiwände ihrer Schutzräume zu durchstechen.
Die Figuren provozieren zwar, bleiben aber völlig fremd
Humanismus und allgemeine Menschenrechte werden vom Autor im Programmheft als „krude Lügen“ bezeichnet, demokratischen Verfassungen wird keine lange Lebenszeit mehr eingeräumt. Was sich Küspert unter „massivem Systemwandel“ vorstellt, ist unklar. Die Figuren provozieren zwar, bleiben aber völlig fremd. Beste Voraussetzungen dafür, sich nach diesem Abend wieder hinter den „Mauerresten unserer Echokammern“ einzukuscheln und zur nächsten Quizshow zu zappen.
Wer Menschen hinter ihren Öfen hervorholen will, muss sie anders anfassen. Der vorgehaltene Spiegel ist längst zertrümmert. Gebt lieber Hoffnung und Mut im Kleinen und Konkreten. Der Abriss von Echokammern ist eine leichte Übung, die Gestaltung neuer Wohnräume hingegen etwas komplizierter.
Nächste Vorstellungen: 10. Oktober, 19.30 Uhr, 25. Oktober, 19 Uhr. Kartentelefon (03693) 451 222. www.meininger-staatstheater.de