Marvin Gaye und die Frauen – das ist eine Geschichte für sich. Er himmelte sie mit eleganter Inbrunst an, in Texten, die bis Ende der 60er Jahre von Liebe handelten, danach insbesondere von deren Körperlichkeit. Alben wie „Let's Get It On“ (1973) oder „Midnight Love“ (1982) mit der programmatisch betitelten Single „Sexual healing“ atmeten, ja lechzten schwer unter Zwischenmenschlichkeit.
Seine Duette mit Mary Wells, Kim Weston oder Tammi Terrell präsentierten ansprechend schnulzigen Soulpop, mit Diana Ross ging es musikalisch wie inhaltlich mehr zur Sache. Er konnte sie aber auch zum Teufel wünschen, diese Frauen, in seinem Falle die Ex-Frauen, so bewältigte das sehr private Doppelalbum „Here My Dear“ den Ehefrust mit Anna Gordy und die kostspielige Scheidung. Aufgrund unterlassener Unterhaltszahlungen hatte ihn ein Gerichtsurteil dazu verurteilt, ein Album aufzunehmen und die Tantiemen daraus seiner Ex-Frau zu überschreiben. „Here, My Dear“ wurde so persönlich, so intim, dass Anna Gordy darüber nachdachte, Gaye wegen Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts zu verklagen.
Es war auch eine Frau, die die Karriere von Gaye, vor 75 Jahren, am 2. April 1939, in Washington/DC unter dem Namen Marvin Pentz Gay geboren, nachhaltig durcheinander wirbelte. Der Tod seiner Gesangspartnerin Terrell mit 24 Jahren infolge eines Gehirntumors stürzte ihn in schwere Depressionen, er konnte und wollte nicht mehr ein Hit-Fließbandarbeiter von Motown Records sein.
Der willige Schlagersänger wurde zum würdigen Protestsänger, der sich ein Album mit dem Titel „What's Going On“ (1971) abquälte, das längst zum popmusikalischen Kanon gehört. Mit Gott an seiner Seite, den er deshalb nicht vergaß, regelmäßig zu lobpreisen, half Gaye dem Motown-Soul aus seinem Drei-Minuten-Korsett, verkuppelte ihn mit Blues, Jazz, Klassik und Bossa Nova, implantierte ihm ein politisch-gesellschaftliches Bewusstsein. „What's Going On“ versammelte Stellungnahmen zu (Vietnam-)Krieg, Umweltzerstörung, Drogenmissbrauch, Rassismus und Armut in üppig arrangierten, ineinander verlaufenden Stücken, die Gayes mehrspurig aufgenommener Gesang durchzog. Die Vorbehalte von Motown-Chef Berry Gordy entkräftete der große kommerzielle Erfolg: Von den drei ausgekoppelten Singles wurden insgesamt knapp fünf Millionen Exemplare verkauft.
Gaye wurde 1961 von Motown unter Vertrag genommen, wo er sich anfangs als Studio-Schlagzeuger verdingte. Mit seiner vierten Single („Stubborn kind of fellow“) schaffte er den Durchbruch als Solokünstler, allein 39 Top-40-Songs nahm er bis 1965 auf. Gescheiterte zweite Ehe, Millionenschulden, Drogensucht, zunehmende Selbstzweifel und Suizidgedanken verdüsterten Gayes Leben, das Album „In Our Lifetime“ Anfang der Achtziger zeigte ihn auf dem Cover gespalten in Gott und Teufel. Mit dem ebenso funky wie sexy Song „Midnight Love“ stürmte er noch einmal weltweit die Hitparaden, bevor ihn sein Vater im Streit tötete – am 1. April vor 30 Jahren.
Schon seit den Jahren bei Motown war Gaye kokainabhängig. Nach einer US-Tournee, während der er mit gesundheitlichen Problemen und Depressionen zu kämpfen hatte, zog er im Sommer 1983 zu seinen Eltern, um sich in deren Haus zurückzuziehen. Mehrfach drohte Gaye nach Streitigkeiten mit seinem Vater damit, sich umzubringen. Einen Tag vor seinem 45. Geburtstag, wurde er von seinem Vater im Verlauf eines weiteren Streits erschossen. Der wurde wegen Totschlags zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
1996 erhielt der Sänger und Musiker posthum einen Grammy fürs Lebenswerk. Der Mann, der die Frauen so sehr liebte, hatte mit seiner emanzipatorischen Großtat der Soulmusik neue Wege eröffnet und ihr eine Relevanz über das Musikalische hinaus verschafft. Der US-amerikanische Bürgerrechtler Jesse Jackson sah in ihm einen Prediger, der den Kollegen auf der Kanzel in nichts nachstand.
Marvin Gaye, der sexy Reformator: Sein Wittenberg war Detroit, Heimat der Motown-Company, von dort groovten sich seine Thesen in die Herzen der Menschen. Mit Material von dpa