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FRANKFURT
Marisha Pessi: Horror im Spiegelkabinett
dpa
 |  aktualisiert: 23.09.2013 17:22 Uhr

Nervenzehrend ab der ersten und spannend bis zur letzten Seite ist der Thriller „Die amerikanische Nacht“. Marisha Pessl (35) entführt den Leser in ein Spiegelkabinett, in dem Realität und Fiktion nicht mehr zu unterscheiden sind.

Ein junges Mädchen springt in einem Abbruchhaus in einen leeren Aufzugschacht. Die Polizei geht von Selbstmord aus, doch ein Journalist vermutet andere Hintergründe. Er hatte schon einmal versucht, den Vater des Mädchens zu finden, den sagenumwobenen Filmemacher Cordova. Der Regisseur wird von seinen Fans kultisch verehrt, seine Horrorstreifen sind offiziell verboten, seit Jahrzehnten lebt er im Untergrund, düstere Legenden ranken sich um ihn.

Der Journalist rekonstruiert die letzten Tage der jungen Frau, die vor ihrem Tod aus einer geschlossenen Anstalt geflohen war. Was bei der Recherche ans Licht kommt, ist purer Horror. Praktiziert Cordova auf seinem wie eine Militärfestung gesicherten Grundstück satanistische Riten? Sind die Szenen in seinen Filmen vielleicht deswegen so intensiv, weil sie gar nicht gespielt sind, sondern echtes Leid zeigen?

Je weiter der Journalist in diese Familie vordringt, desto mehr wähnt er sich selbst in einem Cordova-Film. Alle Zeugen sind am Tag nach dem Interview verschwunden, an Tatorten liegen Zigaretten einer (Film-)Marke, die es gar nicht gibt, eine Voodoo-Figur wirft einen Schatten, der sich um den Lichteinfall nicht schert. Der Ermittler weiß: Einen Beweis für seine Anschuldigungen kann er nur in Cordovas festungsgleich gesichertem Anwesen finden, auf dem der Regisseur auch alle seine Filme gedreht hat. In den noch immer dort aufgebauten Kulissen sucht er nach Belegen, dass der Regisseur ein Psychopath und Kindermörder ist, und gerät dabei an die Grenzen seiner Vernunft.

Nicht nur die Interviews bringen die Geschichte voran, sondern auch Recherchen im Internet und in Zeitungen, die der Verlag wie Originaldokumente mit abdruckt. Das lockert den fast 800 Seiten langen Text auf. Dazu kommt Pessls herrlich trockener Humor, der ihren ersten Roman – „Die alltägliche Physik des Unglücks“ – prägte und den sie hier wohldosiert der Hauptfigur in den Mund legt.

Recht amerikanisch

„Die alltägliche Physik des Unglücks“ wurde 2006 von der Kritik hochgelobt. „Eines der besten Debüts seit Jahren“, schrieb der „Focus“, „eine hinreißende literarische Begabung“, bescheinigte „Der Spiegel“.

In ihrem zweiten Roman versucht sie sich in einem gänzlich anderen Genre. Nach einer Jugendgeschichte ein Thriller – und beides ist überzeugend. Allerdings ist der jetzt erschienene zweite Roman doch recht amerikanisch. Jeder neue Zeuge erzählt genau dort weiter, wo der vorherige Lücken ließ. Und die Sprache ist mehr als simpel – was verwundert, ist doch der Erstling voller ironischer Beobachtungen und witziger Einschübe.

Marisha Pessl: Die amerikanische Nacht (S. Fischer, 792 Seiten, 22,90 Euro)

 
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