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BERLIN
Mario Vargas Llosa geißelt die Kultur des Spektakels
dpa
 |  aktualisiert: 02.05.2013 18:45 Uhr

Brasilianische Telenovelas, Bollywood-Filme und Shakira: Für Mario Vargas Llosa spiegelt sich in ihnen die flüchtige, globale Massenkultur des 21. Jahrhunderts. „Kultur ist Unterhaltung, und was nicht unterhält, ist keine Kultur“, stellt der peruanisch-spanische Literaturnobelpreisträger in seinem neuen Essayband („Alles Boulevard. Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst“) fest.

Auf rund 230 Seiten geißelt er darin in einer Art Rundumschlag die „Kultur des Spektakels“. Ihre hässliche Fratze erblickt er vielerorts. Ein Schauplatz: die Literatur. Ihre ästhetischen Codes seien zwar noch nicht ganz zerfallen, meint Vargas Llosa. Allerdings spiegele sich in ihr die Mentalität unseres Zeitalters. Sie sei seicht, oberflächlich und wolle nicht mehr als unterhalten. Das sei nur folgerichtig, denn noch vor einem halben Jahrhundert hätten Kritiker über Erfolg und Misserfolg eines Romans entschieden. „Heute sind es die Shows einer Oprah Winfrey.“

Noch schlimmer sieht es laut Llosa (77) in der bildenden Kunst aus. Für den 1936 in Peru geborenen Schriftsteller haben Beliebigkeit und Effekthascherei hier am heftigsten gewütet. „Es gibt überhaupt kein objektives Kriterium mehr, mit dem man ein Kunstwerk hoch- oder geringschätzen könnte“, schreibt er. „Heutzutage kann alles und nichts Kunst sein.“ Das einzige mehr oder weniger allgemeingültige Kriterium sei der Preis.

Vehement wehrt sich Llosa gegen die Deutung, Kultur sei die Summe aller Schöpfungen einer Zivilisation. Stattdessen sieht er in ihr eine Art Ordnungsinstanz: Auf der einen Seite eine feinsinnige Elite, die sich Kunstwerke mit Konzentration erschließt, auf der anderen die nur an Zerstreuung interessierte breite Masse. Selbst im Drogenkonsum, so Llosa, gibt es Unterschiede: Elitäre Gruppen seien an der Erkundung neuer Gefühle oder Sichtweisen zu künstlerischen oder wissenschaftlichen Zwecken interessiert gewesen. Alle anderen wollten sich mit Marihuana, Kokain und Ecstasy hingegen bloß gegen Sorgen und Verantwortung immunisieren und der inneren Leere entfliehen, so Vargas Llosa.

Angesichts von Marihuana-Kultur, Punk-Kultur oder Nazi-Kultur seien wir jetzt alle irgendwie Kultur, selbst wenn wir noch nie ein Buch gelesen, eine Ausstellung besucht oder uns humanistische oder wissenschaftliche Grundkenntnisse angeeignet hätten, resümiert Llosa. Auch der Sex sei heute mehr von Pornos als von Erotik bestimmt.

Einen Sündenbock für den allgemeinen kulturellen Niedergang und „fehlgeleitete Freiheit“ sieht Llosa in den Denkern der Postmoderne um den französischen Philosophen Michel Foucault, den russischen Theoretikern um den Literaturwissenschaftler Michail Bachtin und dem Phänomen 1968: „Sie schleiften die Grenzen zwischen Kultur und Unkultur und verliehen dem Unkultivierten eine besondere Würde.“

Insgesamt unternimmt Mario Vargas Llosa in „La civilizaction del espectáculo“ – so der spanische Originaltitel – einen Versuch, der weit verbreiteten seichten Unterhaltung mehr geistige Anstrengung entgegenzusetzen. Angesichts der Einfachheit vieler Thesen und angesichts des Mangels an vorwärtsgewandten Lösungsvorschlägen für die von ihm kritisierten Zustände muss man leider festhalten, dass dieser Versuch nur bedingt geglückt ist.

Mario Vargas Llosa: Alles Boulevard. Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (Suhrkamp, 231 Seiten, 22,95 Euro)

 
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