Einer wie er betritt nicht einfach die Bühne des Bad Kissinger Regentenbaus – nein: Er erscheint, lächelt sanft, hebt und faltet die Hände. Und von Anfang an ist dem Publikum im mit 700 Zuschauern gut besetzten Max-Littmann-Saal klar, dass Mario Adorf tatsächlich ein ganz Großer ist, einer jener wirklichen und letzten Stars, die nicht künstlich geschaffen werden, sondern gereift sind über Jahrzehnte ihres Schaffens.
Viel mehr als ihn selbst, als seinen auch mit 84 noch charismatischen Charme und bekannt filmreifen Augenaufschlag braucht es nicht, damit Adorf gut zwei Stunden lang „Geschichten aus seinem Schauspielerleben“ vorlesen kann. Der Aufwand ist gering: ein Tisch, ein Stuhl, dahinter eine kleine Leinwand – zu Beginn läuft darauf ein Filmchen mit privaten Lebensbildern rückwärts bis zur Geburt, vor dem zweiten Teil sind die bekanntesten Rollen des Mimen zusammengeschnitten.
Mario Adorf, dieser Grandseigneur des deutschen Schauspiels, hebt und senkt die Stimme in beneidenswerter Kraft. Und wenn er aufsteht, um mal eben aus „Iphigenie auf Tauris“ zu rezitieren, tut er dies voll unverschämter Vitalität. Die Besucher folgen ihm willig, erleben eine echte Persönlichkeit leibhaftig.
Die Sache mit dem Hosentürl
Es ist der Mann, der Mensch Adorf, der diesen Abend trägt, diesen altbackenen Abend mit uralten Scherzchen der Sorte „Was Krupp in Essen, war er in Trinken“. Der Inhalt ist es nicht. Die Anekdote vom offenen Hosentürl bei einer Aufführung erreicht fast mühelos Zotenniveau, und vieles von dem, was der Charakterdarsteller beeindruckend stimmgewaltig von sich gibt, bleibt flach. Flach auch, weil sich Adorf bloß drei-, viermal die Mühe macht, sich zu erheben und durch seine Präsenz Abwechslung ins Vorlesungsprogramm zu bringen, das er mit DIN-A-4-Blättern im Stile früherer Nachrichtensprecher durchzieht. Doch darauf kommt es ja bei einem wie ihm nicht an.
Adorf ist Vollprofi. Eine kleine Geste von ihm genügt und versöhnt bereits mit den erstaunlich ungenutzten Möglichkeiten eines mit Ausnahme der Begrüßung fast unpersönlich distanzierten Auftritts. Nichts, rein gar nichts erzählt er mal zwischen den Zeilen, selten verlaufen Lesungen mit weniger Zwiegespräch zwischen dem Vorleser und Zuhörern. Und schließlich beschränkt er seine Anekdoten-Auswahl, man mag es kaum glauben, auf die fünfziger und die frühen sechziger Jahre. Ein Hans Albers, Heinrich George und Fritz Kortner sind die Hauptfiguren in den Erinnerungen – verdamp lang her.
Von dem, was bei der „Blechtrommel“ passierte, der „Verlorenen Ehre der Katharina Blum“, bei „Großem Bellheim“, „Via Mala“ oder „Rossini“, seinen späteren Knüllern, sagt er kein Wort. Schade. Stattdessen gibt es als Zugabe, besagte Mär vom offenen Hosentürl.