Draußen der – zumindest kurz – aufbrechende Frühling. Drinnen im Würzburger Mainfranken Theater Tod und Düsternis. Aus einer Unterwelt kriechen fahle Gestalten.
Bleich wie der Tod, langsam, verzögert, winden und verrenken sie sich. „Requiem aeternam dona eis, Domine“, intonieren Sängerinnen und Sänger rechts und links vom Orchestergraben. Sie stehen dunkel gekleidet auf zwei Ebenen, flehen und bitten um Erlösung und Seelenheil. Chor, Solisten (Silke Evers, Barbara Schöller, Roberto Ortiz und Bryan Boyce) und die Musiker des Philharmonischen Orchesters folgen dem Dirigat von Enrico Calesso, dessen Augen immer wieder konzentriert auf Tänzerinnen und Tänzer gerichtet sind, um Schwerkraft und Musik korrekt in Einklang zu bringen. Hör- und sichtbar werden Schwermut, Hoffnung auf Erlösung und letztlich selige Ruhe, die an der Tondichtung „Requiem“ von Wolfgang Amadé Mozart fesseln.Wie Rodin-Skulpturen
Ballettchefin Anna Vita hat sich mit dieser Choreografie zu den Klängen der Totenmesse fortbewegt von den von ihr gewohnten Handlungsballetten, hinein in ein abstraktes Werk, das berühren kann. Dabei überzeugt ihre versierte Compagnie immer wieder mit Bildern, die an Grabmäler erinnern. Oder an Skulpturen von eindringlicher Intensität, wie sie der französische Bildhauer Auguste Rodin schuf.
Aleksey Zagorulko als erster Engel besticht mit intensiver Körpersprache und hohen Sprüngen, Kirsten Renee Marsh als zweiter Engel mit ebenso zarten wie kraftvollen Bewegungen. Immer wieder verzahnt wie eine Kette hüpfen, springen, turnen die Tänzerinnen und Tänzer in waghalsigen Formationen mit viel akrobatischem Können, sind als Menschenknäuel ebenso beeindruckend wie in Solo- oder Duopassagen. Eine magische Lichttechnik (Walter Wiedmaier) und immer wieder verschobene Bühnenebenen verstärken Suggestionskraft und Spannung. Ein – entgegen der Mozart?schen Vorlage – noch einmal ans Ende gesetztes „Lacrimosa“ schließt tänzerisch und musikalisch den Kreis, zeigt die Hoffnung auf Erlösung und Befreiung.
Der erste Teil des Ballettdoppelabends beschäftigt sich mit dem Gedicht „Der Tod und das Mädchen“ von Matthias Claudius, das Franz Schubert als Streichquartett vertont hat. Da ein Quartett aus dem Orchestergraben heraus jedoch nicht gut zu hören wäre, erklingt die Streichorchesterfassung von Gustav Mahler, die bei Weitem nicht so berührend wie das Schubert?sche Original ist. Berührend ist dagegen die Vorstellung der vier Tänzer, die die Begegnung des Mädchens mit dem Tod zu einem Psychodrama werden lassen.
Im Sog eines Geheimnisvollen
Das Mädchen tanzt Ran Takahashi in einem jugendlich-zarten Seidenkleidchen dynamisch, jugendlich frisch und mit Feuer. Sie wird von den strengen Eltern (Camilla Matteucci, Johannis Mitrakisin) so lange in ihrer Jugend und Freiheit beschränkt, bis sie in einer psychiatrischen Klinik landet. Ängste, innere Kämpfe und der Sog hin zu diesem geheimnisvollen Mann, dem Tod, werden erlebbar.
Davit Bassénz in der Rolle des Todes weiß die düstere Dramatik mit Trostgebärden und harmonischen, teilweise sogar weichen Bewegungen zu gestalten, ohne dabei männliche Kraft zu vernachlässigen. Ob er das Mädchen letztendlich mit in sein Totenreich nimmt oder doch ins Leben entlässt, bleibt offen. Die Choreografie, die Anna Vita zu Beginn ihrer Würzburger Zeit vor zwölf Jahren schon einmal in den Kammerspielen gezeigt und nun für die große Bühne bereitet hat, wird ebenso wie das „Requiem“ bei der Premiere im voll besetzten Großen mit viel Beifall aufgenommen.
Nächste Vorstellungen: 7., 20., 24. Mai. Vorverkauf: Tel. (09 31) 39 08-124