Kafka-Puristen und germanistische Textexegeten werden nicht auf ihre Kosten kommen bei „Kafka 2.0“, einem multimedialen Theater-Projekt, das in den voll besetzten Kammerspielen des Würzburger Mainfranken Theaters seine Uraufführung erlebte. Gleichwohl hatte das Premierenpublikum jede Menge, oder um es mit David Foster Wallace zu sagen, geradezu „unendlichen Spaß“ an der von Björn Gabriel nach Kafka-Motiven collagierten und inszenierten Stück-Entwicklung.
Gabriel und sein Team schaffen darin einen weit offenen Assoziationsraum und spielen mit allen Stilmitteln zeitgenössischer Populärkultur: kalter Überwachungs- und Computer-Technologie, Videos zwischen Trash und Splatter, Musik-Einspielungen von Metal-Rock bis David Bowie, schriller Club-Ästhetik. Dahinter verblassen die knappen, oft nur projizierten Texte von Franz Kafka; sie dienen als Spiel- und Belegmaterial für die These von der „Zurichtung des Bewusstseins“ durch anonyme, ungreifbare und auch undurchschaubare Mächte.
Und was der Prager Autor in seinen Roman-Figuren Josef K. („Der Prozess“), dem Landvermesser K. („Das Schloss“) und Karl Rossmann („Der Verschollene“) auf unheimliche Weise konkretisiert, wird in Björn Gabriels Figuren vollends ungreifbar: Franz 1, Franz 2, Franz 3 und Franz 4 heißen folgerichtig die von Daniel Ratthei, Claudia Kraus, Alexander Hetterle und Timo Ben Schöfer verkörperten „Bedeutungsträger“. Überwachung, Datensammelwut, allumfassende Kontrolle unseres Alltags sind so weit fortgeschritten, dass die Identität jedes Individuums am Verschwinden ist: der Mensch und sein Tun – eine Ziffernfolge in einer von Algorithmen bestimmten Welt, die sich ihrer eigenen Unfreiheit nicht einmal mehr bewusst wird. Ein, ganz mit Kafka, und trotz allem Spaß, düsterer Blick auf die Gegenwart. Aus der das Darstellerteam, trotz postmoderner Pause der Selbstreflexion, keinen versöhnlichen Ausweg gewährt. Oder doch? Vielleicht einfach mal wieder Kafka lesen.
Nächste Vorstellungen: 25. Februar, sowie 4., 10., 19. und 30. März. Karten: Tel. (09 31) 39 08-124