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WÜRZBURG
Mainfranken Theater Würzburg: Ein Leben nach Regeln der Bibel
MANFRED KUNZ
 |  aktualisiert: 11.12.2019 18:59 Uhr

„Religion ist Privatsache!“ Das ist in den aufgeklärten Gesellschaften der westlichen Welt der kleinste gemeinsame Nenner in Sachen Religionsausübung. Bedroht ist diese liberale Haltung durch das Erstarken religiöser Fundamentalisten allerorten – seien es islamistische Gotteskrieger, ultraorthodoxe jüdische Siedler oder reaktionäre Prediger christlicher Sekten.

Die dogmatisch-christliche Variante dieses Fundamentalismus thematisiert der Dramatiker Marius von Mayenburg in seinem Stück „Märtyrer“, das Andreas von Studnitz jetzt für die Kammerspiele des Würzburger Mainfranken Theaters inszeniert hat. Bühnenbildnerin Anika Wieners hat die Spielfläche in die Mitte der Kammer gelegt, die Zuschauer blicken von zwei Seiten auf das Geschehen.

Der Schüler Benjamin Südel nimmt die Bibel, insbesondere das Alte Testament, beim Wort, lebt nach den deren Regeln und gerät damit immer mehr in Konflikt mit seiner Mutter, den Lehrern und seinen Mitschülern. Ungeklärt bleiben allerdings Anlass und Gründe seiner radikalen Bibeltreue; umso deutlicher zeigt das in mehr als 20 Kurz- und Kürzest-Szenen gefasste Dialogstück, wohin diese Art von religiösem Fundamentalismus führen kann.

Glaubwürdiger Maik Rogge

Je absurder diese Ansichten zu vorehelichem Sex, zu Körperlichkeit, zu Homosexualität, zur Evolutionstheorie und zu den Glaubenswahrheiten der Heiligen Schrift erscheinen, desto rigoroser und vehementer werden sie von Benjamin vertreten.

Glaubwürdig und mit bewundernswerter Leichtigkeit zeigt Ensemble-Neuzugang Maik Rogge einen jungen Menschen, der in seiner moralischen Unbedingtheit immer mehr zum Außenseiter wird und seine nächste Umgebung überfordert: seine besorgte, aber überforderte Mutter Inge Südel (Edith Abels), den desinteressierten Sportlehrer Markus Dörflinger (Alexander Hetterle), den hilflosen Pfarrer Menrath (Timo Ben Schöfer), den zaudernden Schuldirektor Batzler (Uwe Fischer) und die sich zu ihm hingezogen fühlende Mitschülerin Lydia (Claudia Kraus). Allein in dem wegen einer Körperbehinderung ebenfalls zum Außenseiter gewordenen Mitschüler Georg (Sven Mattke) findet er einen Vertrauten, den er zu seinem „Jünger“ macht, ihn aber verstößt, als sich die Beziehung ins Homoerotische zu wenden droht.

Allein die Biologielehrerin Erika Roth (Maria Brendel) versucht, Benjamins zunehmende Radikalisierung zu verstehen und dem religiösen Dogmatismus die aufgeklärte Weltsicht des 21. Jahrhunderts entgegenzusetzen. Als der Konflikt eskaliert, gerät sie mit dieser Haltung selbst in die Kritik, und der Märtyrer-Begriff erfährt einen völlig neuen Gehalt.

Ist „Märtyrer“ deshalb das Stück zur Zeit? Nur bedingt, denn völlig ausgeblendet bleiben die sozialen und gesellschaftlichen Hintergründe und die konkreten Ursachen für religiösen Fundamentalismus. Und zu thesenhaft, gelegentlich in der Nähe zum Klischee sind die Dialoge. Das bestens aufgelegte und geführte achtköpfige Darstellerteam zeigt sich aber von seiner besten Seite.

Nächste Vorstellungen: 17., 24. und 26. November, Tel. (09 31) 39 08 124.

 
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