Intendant Hermann Schneider hat die Oper von vordergründigem Ballast befreit und ist zum Kern vorgedrungen. Er findet romantische Lebensphilosophie, die selbst 164 Jahre nach der Uraufführung noch tragfähig ist. Schneider fokussiert in Tannhäuser, dem Künstler, dem Außenseiter, Befindlichkeiten des modernen Menschen. Tannhäuser, das sind wir alle, irgendwie.
Tannhäuser kann die Welt, die er vorfindet, nicht akzeptieren. Auf der Suche nach Liebe, nach dem Eigentlichen, flieht er vor den engen Konventionen der Wartburg in den Venusberg. Doch statt Sinn und Erfüllung findet er dort Sex als Massenware, sinnentleerte Freikörperkultur statt wahrer Liebe. Die Würzburger Inszenierung zeigt das im von Ballettchefin Anna Vita choreografierten Bacchanal. Die spärlich bekleideten Damen und Herren der Ballettcompagnie wirken eher mechanisch als erotisch. Und Tannhäuser, der Mensch, der Mann, wird in der Venuswelt unmündig gehalten. Fast lächerlich wirkt sein erster Auftritt in Hemd und Unterhose . . .
Also zurück in die Natur, zurück zur Wartburg, zurück in die Welt der Lebenden! Doch auch die gibt es nicht so, wie Tannhäuser sich das vorstellt. Wo Wagner ein schönes Tal und blauen Himmel vorsah, setzt Falko Herolds Bühnenbild eine schräge Ebene. Der Hirt (Anna Nesyba) singt zwar vom Mai, aber es schneit, die Natur besteht aus einer Handvoll Plastikblumen. „Das Leben ist aus dem Gleichgewicht geraten“, wie Schneider sagt. Der Landgraf und die Sänger – von Götz Lanzelot Fischer wie Bergsteiger gekleidet – können sich auf der Schräge nur mit Hilfe eines Seils bewegen. Tannhäuser gehört nicht zu dieser Seilschaft. Das setzt schon vor Beginn der Wartburg-Szene ein Signal: Auch hier ist Tannhäuser ein Außenseiter. Beim Sängerwettstreit, bei dem das Wesen der Liebe besungen werden soll, schockiert er denn auch die in ritterlichen Ritualen festgefahrene Gesellschaft, indem er von der Liebe bei Venus erzählt. Er wird verbannt mit der Auflage, beim Papst um Sündenerlass nachzusuchen. Doch der Papst verdammt ihn – das Heil kommt auch nicht von der Kirche.
Tannhäuser bleibt ein Heimatloser zwischen den Welten, voll unerfüllter Sehnsucht, nicht unähnlich dem Menschen des 21. Jahrhunderts, der in einer technischen Zivilisation lebt, die ihm in ihrer Komplexität über den Kopf wächst, der sein Heil sucht bei Gurus, in Sekten, bei Wahrsagern, oder der zurück will in eine Natur die es nicht mehr gibt, weil er sie weitgehend zerstört hat. Das unerfüllbare romantische Sehnen des Tannhäuser, es ist auch ein Zeichen unserer Zeit.
In Schneiders Inszenierung findet Tannhäuser die Erlösung nicht in der Außenwelt. Er kann sie nur in sich selbst finden. Die Erlösung, die Wagner seinem Helden durch Gottes Gnade zugesteht, gesteht Schneiders Inszenierung dem Helden – vielleicht – im Weg nach innen zu.
Im durchgängig schwarzen Ambiente wirkt die Geschichte kühl und intellektuell. Emotionale Akzente setzt die Musik. Etwa wenn Heiko Trinsinger (ein fantastischer Wolfram) den „holden Abendstern“ besingt, voll inniger Trauer über den Tod von Elisabeth (ein bestechendes Rollendebüt von Anja Eichhorn voll Dramatik und sanfter Zwischentöne). Auch der Chor (Einstudierung Markus Popp) sorgt für Gänsehaut. Herausragend aus einem insgesamt starken Ensemble: Stefan Klemm (Landgraf) und Karen Leiber (Venus). „Tannhäuser“ Paul McNamara wurde bei der umjubelten Premiere immer stärker, immer sicherer. Ausdrucksstark und ohne Konditionsprobleme bewältigte er die „Rom-Erzählung“ kurz vor Schluss.
Das Philharmonische Orchester unter Jonathan Seers klang über die volle Distanz geradezu sensationell. Dirigent Seers setzt auf Transparenz, nie trägt er zu dick auf. So kann die Farbenpracht der Wagnerschen Partitur funkeln.
Nächste Vorstellungen: 7., 10., 19. Mai. Beginn ist um 19 Uhr. Karten: Tel. (09 31) 39 08-124