Dass ein Regisseur „Buhs“ einstecken muss, weil er zu konservativ gearbeitet hat, ist selten. Vor allem wenn es sich um Wagnerianer handelt. Die gelten als die Konservativsten unter dem ohnehin konservativen Opernpublikum. Dem Wagnerianer kann normalerweise eine Oper des Bayreuther Komponisten gar nicht konservativ genug sein – er benutzt lieber das Wort „werkgetreu“. Doch was Regisseur Kurt Josef Schildknecht am Würzburger Mainfranken Theater aus Richard Wagners „Parsifal“ gemacht hat, war einigen offenbar doch zu hausbacken. Die meisten Zuschauer im nicht ganz voll besetzten Großen Haus applaudierten aber und riefen „Bravo“. Einstimmig fiel der Jubel für Darsteller, Chor, Orchester und Dirigent Jonathan Seers aus.
Seers sah seine letzte Premiere als Würzburger Generalmusikdirektor als „Geschenk“. Der Dirigent, dessen Vertrag zum Ende der Saison abläuft, macht auch dem Publikum ein Geschenk. Er lässt die Würzburger Philharmoniker eher flottes Tempo gehen, holt brillante Farben aus der Partitur. Das nimmt ihr einiges von dem unangenehm Schleppend-Pathetischen, das sie bei anderen Dirigenten hat. Der Engländer zeigt immer wieder die nahezu kammermusikalische Raffinesse in den Noten des Deutschen. Vier Stunden dauert das Stück am Mainfranken Theater (zwei halbstündige Pausen kommen hinzu). Die Musiker schwächeln über diese lange Zeitspanne hinweg nur selten. Ebenso wie die Chöre, die Markus Popp fit gemacht hat für die große Aufgabe des „Bühnenweihfestspiels“.
Das stellt an den Regisseur noch höhere Anforderungen als an die Musiker. Vielleicht ist diese monologlastige Wagner'sche Über-Oper auch gar nicht adäquat auf der Bühne zu verwirklichen. Wolfgang Wagner ging bei den Bayreuther Festspielen den Weg, die szenischen Anweisungen seines Großvaters möglichst getreu umzusetzen. Christoph Schlingensief krempelte – ebenfalls bei den Bayreuther Festspielen – den „Parsifal“ weitgehend um.
Gangbar sind beide Wege. Sie markieren die Extrempunkte in der Inszenierungsgeschichte des 1882 uraufgeführten Werkes. Kurt Josef Schildknechts Arbeit liegt eher auf der Wolfgang-Wagner-Seite. Schildknecht erzählt eine Geschichte. Er kommentiert nicht, unterstreicht höchstens Gedanken, die in Richard Wagners Libretto angelegt ohnehin sind. Dabei helfen die Bühnenbilder. Rudolf Rischer formt aus einem simplen Raum – die Gralsburg erinnert an Stonehenge – und mithilfe der Drehbühne beeindruckende, bedrückende Bilder. Bedrohlich schwebt ein riesiges Kreuz über der Welt der Gralsburg. Die Gralsritter scheinen ihre eigenen Gräber auf dem Rücken zu tragen (Kostüme: Gera Graf). Wenn sie ihre Tornister, in denen Kreuze stecken, in Reih und Glied auf dem Boden ablegen, sieht die Bühne wie ein großes Gräberfeld aus.
Die Gralswelt, in die der junge Parsifal gerät, ist eine Welt der Toten – wie vielleicht die ganze christliche Weltordnung? Auch wenn die Gralsritter die Kreuze wie Schwerter benutzen, setzt das Wagner'sche Kritik am Christentum in ein starkes Bild um. Religion wird zur Waffe.
Schildknecht hat mit der Personenführung zu kämpfen. Er lässt die Figuren oft ein wenig hilflos auf der Bühne stehen. Einige Ungeschicktheiten mögen daher kommen, dass das Regiekonzept von der Bühne des Nationaltheaters Zagreb, dem Kooperationspartner für „Parsifal“, auf die Verhältnisse des Würzburger Hauses umgestellt werden musste. Vielleicht hat auch die wegen der Kooperation verkürzte szenische Probenzeit den letzten Feinschliff verhindert. Die betuliche Regie sorgt immerhin dafür, dass die Sänger meist optimal zum Publikum stehen. Dementsprechend gut kommen alle zur Geltung.
Claudius Muth verleiht Gurnemanz, der heimlichen Hauptfigur des Stücks, stimmlich und darstellerisch ein Format, das selbst an einem Staatstheater nicht selbstverständlich wäre. Karen Leiber ist als Kundry stimmlich präsent, ob mit beinahe mezzomäßig loderndem Feuer, ob in kraftvollen Spitzentönen oder in sanfter Lyrik. Paul McNamara entwickelt seinen Parsifal glaubwürdig vom Dummerchen zum weißhaarigen Weisen. Johan F. Kirsten zeigt, ganz in Rot, den abtrünnigen Ritter Klingsor an der Grenze zum Wahnsinn. Und Joachim Goltz gibt stimmlich dem Gralskönig Amfortas Profil. Darstellerisch ist er durch verschiedenfarbige Infusionsbeutel samt daran hängenden Schläuchen einigermaßen behindert. Auch das kein allzu glücklicher Einfall der Regie.
Nächste Aufführungen: 29. Mai, 5., 12. Juni. Beginn jeweils 17 Uhr. Vorverkauf: Tel. (09 31) 39 08-124