
Was ist in dieser Stimme? Was steckt in diesen Tönen, die aus tiefstem Innern kommen müssen? Was außer größter Seelenpein und Spannung? Der Jazzpianist und Sänger Jens Thomas und Schauspieler Matthias Brandt stehen am schwarzen Flügel, paaren einen einsamen dunklen Ton mit hellen, flirrenden Klängen. Und Thomas beginnt zu singen. Wortlos, silbenlos, was aus der Kehle kommt, lässt Schmerzvolles, Qualvolles, Grauenvolles ahnen . . .
Es ist der minimalistische Beginn eines Abends allergrößter Intensität. Im Würzburger Mainfranken Theater lesen, erzählen, spielen, inszenieren, vertonen, verkörpern – ja was eigentlich? – Brandt und sein kongenialer Kompagnon am Donnerstagabend Robert Blochs „Psycho“. Man kennt die Geschichte, hat Alfred Hitchcocks berühmtes filmisches Meisterwerk aus dem Jahr 1960 vor Augen, die Duschszene, die Leiche im Keller, man weiß, was passiert . . . und ist für dichte 90 Minuten schlicht von Neuem gefesselt, gefangen, gebannt vom subtilen Spiel auf der Bühne. 90 Minuten lang herrscht im fast ausverkauften Saal eine selten gespürte Spannung, erzeugt allein durch irritierende Klänge und Geräusche und Brandts subtiles, multiples Erzählen.
Brandt! Er muss nur auf der Stuhlkante sitzen. Eine Augenbraue, einen Finger, seine Stimme heben, mit den Händen über die Schenkel reiben – und man ist mittendrin. „Muttersöhnchen, Hosenscheißer! Das warst Du, das bist Du, das wirst Du immer bleiben“, durchdringt die mal trügerisch zarte, mal grell-nervtötende Fistelstimme der Mutter den Raum. Eine Stimme zum Grauen. Wie soll es um die psychische Verfassung von Norman Bates auch bestellt sein, der da irgendwo im Nirgendwo in einem trostlosen Motel sitzt, von der allgegenwärtigen, herrschsüchtigen Mutter gepeinigt?
Vom ersten Schrei an nehmen die beiden Bühnenkünstler das Publikum gefangen. Keine fünf Minuten, und Anthony Perkins, Hitchcocks Hauptdarsteller, ist aus dem Kopf. Jetzt ist da nur noch . . . Brandt-Blochs Bates. Ein übergewichtiger, glatzköpfiger Mittvierziger, schamhaft und schüchtern, kindlich, verklemmt und unschuldig böse und gespalten in Persönlichkeiten. Brandt und Thomas verstehen es meisterlich, das Innenleben dieses Norman Bates zu offenbaren.
Gleichberechtigt sind Musik und Sprache, und der Schauspieler und der Sänger dosieren Emotion und Regung feinsinnig und genau. Jens Thomas beugt sich tief über den Flügel, kriecht in den Korpus, zupft und bearbeitet im Stehen die Saiten, streichelt und massiert sie, erzeugt ein Flirren, Pochen, Zittern, Beben. Kaum dass die beiden mit Stimme und AC/DC-Soundtrack einmal wirklich laut werden – doch wie gewaltig, wie gewaltsam sind die Zustände, von denen sie da erzählen. Wie groß ist der Wahnsinn, den sie hörbar machen. Und der Strudel des Grauens dreht sich immer schneller und weiter . . .
Großer, begeisterter, langer Applaus eines durchweg faszinierten Publikums! Brandt und Thomas danken es mit „Highway to Hell“. Wer hätte gedacht, dass die australischen Hardrocker ihre Inspiration aus dem Bates'schen Keller holten?