Die letzte Premiere der Spielzeit am Mainfranken Theater – eine Uraufführung– wird zu einem atmosphärisch dichten Theatererlebnis. Am Johannistag vor zwei Jahren hat Komponist Alois Bröder die Arbeit an der Kammeroper „Unverhofftes Wiedersehen“ abgeschlossen. Mit dieser Auftragsarbeit habe er „Blut geleckt“ am Kreieren von Opernmusik. Dabei komme ihm der überschaubare Umfang der Kalendergeschichte von Johann Peter Hebel entgegen, der dem Werk zugrunde liegt, so habe er sich nicht „an umfangreichen Riesentexten abarbeiten“ müssen.
Jahreskalender mit Daten, astronomischen Informationen, Lebensweisheiten und allerlei Ratschlägen, in denen auch Geschichten wie die abgedruckt waren, die der Komponist für sein Werk adaptiert hat, gab es im deutschsprachigen Raum ab 1500. Neben Bibel und Katechismus waren sie die einzige Lektüre, mit der die Bevölkerung auf Tugend und Moral hingewiesen werden konnte.
Eine wahre Begebenheit
Johann Peter Hebels (1760-1826) Kalendergeschichte orientiert sich an einer wahren Begebenheit. Sie erzählt von einem Liebespaar, das kurz vor der Hochzeit auseinandergerissen wird: Der Bräutigam, ein Bergmann, kommt nach der Arbeit nicht mehr heim. 50 Jahre später entdeckt man eine Leiche, die keiner mehr erkennt – außer der einstigen Braut, die nicht in tiefe Trauer stürzt, sondern in freudiger Erwartung dem Tod entgegensieht.
Wie auch in der ersten Opernarbeit Bröders („Die Frauen der Toten“ von 2013, uraufgeführt am Erfurter Theater) geht es um Tod und eine mögliche Wiederkehr. Bröder leuchtet in Stimmungen hinein, will nicht nur verzwickte Handlungen, die möglicherweise von der Musik ablenken, in Tonfolgen kleiden.
Eigene Musiksprache für Hebel
So hat der Komponist eine eigene Musiksprache zu Hebels Text entwickelt, mit der sich Regisseur Markus Weckesser intensiv auseinandergesetzt hat. Entstanden ist ein in sich schlüssiges Werk mit einer Musik, die sich 75 Minuten lang selbst erklärt. In der es gelingt, das Zusammenspiel von Instrumentalisten, Solo-Sängern und Chor zu einer Einheit zu formen, die durch die vornehmlich in Grautönen gehaltenen Kostüme (Götz Lancelot Fischer) ergänzt wird.
Intensive Videoprojektionen (Nikolai Krönet), die zeitgeschichtlichen Ereignisse und damit den Fluss des Lebens abbilden, fügen sich folgerichtig ein. Der Aufführungsort schafft für die Zuschauer spürbare Nähe zum Geschehen. Das Publikum sitzt auf der Hinterbühne, dort, wo Schnüre und Scheinwerfer, Gestänge und Technik in schwindelnder Höhe auf Einsatz warten, und atmen gewissermaßen mit den Akteuren.
Richtung Zuschauerraum sind die 16 Musiker platziert, die alle Farben eines großen Orchesters vertreten. Vor ihnen Dirigent Enrico Calesso, der umsichtig Transparenz und Balance in Bröders Klänge bringt. Außerdem Schauspieler Georg Zeies, der Prolog und Epilog zwar akzentuiert, aber unaufdringlich vorträgt.
Zum Greifen nahe die Sänger, die sich auf der mittig freien Fläche in alle Richtungen bewegen. Der klanglich hervorragende Chor übernimmt wechselweise die Rolle des Erzählers oder agiert eigenständig. Immer wieder sind es einzelne Töne, mal schrill, mal stechend scharf, mal aufseufzend oder wehmütig und weich, die sich in kleinen Melodien verfangen und zueinanderfinden.
Zeitweise scheint der Dirigent in Tonfolgen zu versinken, dann wieder entlockt er mit gespannter Körperhaltung raffinierte, moderne, glucksende oder rasselnde Klänge.
Die Braut als schlurfende Alte
Das Liebespaar, Tenor Roberto Ortiz als Bräutigam Mathias, und Sopranistin Silke Evers in der Rolle der Braut Anna, singen und spielen ihre Partien anrührend und voller Inbrunst, Zärtlichkeit und Leidenschaft in Körperspannung und Stimme.
Im mittleren der in drei Teile geordneten Geschehnisse verwandelt die Maskenbildnerin die junge Braut in eine schlurfende Alte mit Warze und Falten im Gesicht, die das in der Jugend gestickte Tüchlein dem Liebsten im Tod um den Hals legt.
Nicht nur stimmlich und schauspielerisch setzt Bariton Daniel Fiolka gewohnt souverän Akzente. Im roten Anzug holt er sich die Menschen aus dem Dorf. Und Anna folgt ihm mit Entzücken. Zum Solistenteam gehört Taiyu Uchiyama als Pfarrer. Begeisterter Applaus des Premierenpublikums.
Weitere Vorstellungen am 4. (ausverkauft), 9., 12., 16. Juli. Karten: Tel. (09 31) 39 08 124.