Das Streben nach individueller Freiheit und Glück – selbstverständlich! Überlieferte Konventionen und rigorose Moralvorstellungen – längst überholt! Zumindest in den Lebenswelten der Städtebewohner des 21. Jahrhunderts. Oder lügen wir uns da in die eigene Tasche? Bestimmen die in den Tiefen weiterwirkenden archaischen Strukturen immer noch weitaus stärker unser Fühlen und Handeln, als wir es uns selbst eingestehen wollen?
Antworten auf diese Fragen sucht Brit Bartkowiak in ihrer Inszenierung von Federico Garcia Lorcas Tragödie „Bluthochzeit“ im Würzburger Mainfranken Theater.
Sie holt das im Andalusien der 30er Jahre spielende Stück des bedeutendsten spanischen Dichters des 20. Jahrhunderts in eine zeit- und ortlose Gegenwart. In Details lässt Kostümbildnerin Julia Ströder die bäuerliche Welt aufscheinen.
Ein Zaun begrenzt die Welt
Weitaus deutlicher zeigt sich die archaische Enge in Hella Prokophs Spielfläche, die vollständig mit Holzschnitzeln bedeckt und von einem bühnenhohen Bretterzaun begrenzt ist: Eine hermetische Welt, die nach ganz eigenen Gesetzen und Ritualen funktioniert, und die Individualität nur in ganz engen Grenzen zulässt.
So nimmt die tragische Handlung mit geradezu zwangsläufiger Gesetzmäßigkeit ihren Lauf – und das, obwohl sich alle Personen, allen voran die von Anja Brünglinghaus souverän ins Handlungszentrum gestellte Mutter, dagegen stemmen: Bewundernswert, wie sie zwischen liebevoller Wärme und kalter Härte wechselt, wie sie ihre Zerrissenheit zwischen mildem Nachgeben und der hässlichen Gewalt der Blutrache offenbart. Denn nach ihrem Mann und dem älteren Sohn verliert sie in der Hochzeitsnacht auch den zweiten Sohn (Bastian Beyer) an die Blutrache. Herausgefordert durch die Flucht seiner Braut (Helene Blechinger), stellt dieser den Nebenbuhler Leonardo (Martin Liema).
Im anschließenden Kampf sterben beide – der Ausbruch aus den Konventionen ist zum Scheitern verurteilt, der gegenseitige Hass, auf die Spitze getrieben durch das Gesetz der Blutrache, verunmöglicht das individuelle Glück.
Die Flucht als Ausweg?
Dieses blutige Geschehen kann auch von der übrigen Hochzeitsgesellschaft nicht aufgehalten werden, im Gegenteil: Mit ihren Todesmasken sind das Dienstmädchen (Lea Sophie Salfeld), die Nachbarin (Maria Brendel), Leonardos Frau (Hannah Walther) und der Brautvater (Meinolf Steiner) selbst Teilnehmer der Jagd auf das Paar, das durch seine Flucht den Ausweg aus den Konventionen sucht.
Am Ende sind sie Beschädigte, Leidende, Opfer allesamt, aufgefangen und getröstet vom gemeinsam gemurmelten „Gegrüßet seist du, Maria“. Ein kurzer und intensiver Theaterabend mit großartigen Bildern, die im Gedächtnis lange weiterwirken.
Nächste Vorstellungen: 19. und 31. Mai, 3., 7. und 10. Juni. Karten: Tel. (09 31) 39 08-124.