Bei all dem gegenwärtigen Frühlingserwachen von nationalistischem Gebaren, von Sehnsucht nach einfachen Lösungen, bei all den wuchernden Blüten von Angst und Misstrauen und Hass und der kollektiven Blütenlese durch skrupellose Machthaber: Wen wundert's da, wenn Meininger Theatergänger mit großer Neugierde der Inszenierung von Shakespeares blutiger Tragödie „Macbeth“ entgegenfiebern?
Wie spannt der Regisseur den Bogen vom vorzivilisatorischen Schottland und England des 11. Jahrhunderts in die Gegenwart? Dass das dem Inszenierungsteam um Lars Wernecke (Regie), Christian Rinke (Ausstattung) und Stefano Di Buduo (Videoeinspielungen) eine Herzensangelegenheit ist, zeigen bereits die Thesen des Historikers Timothy Snyder zum Widerstand gegen die Tyrannei, die den Reigen von erhellenden Texten im Programmheft eröffnen – noch vor der Inhaltsangabe.
Das Böse entsteht immer neu
Die Zuschauer müssen nicht lange auf den Gegenwartsbezug warten. Kaum ist eine höchstsymbolische gusseiserne Mauer zwischen Barbarei und Zivilisation hochgefahren, erscheinen zu den wehmütigen Tönen eines einsamen Dudelsackpfeifers auf einem Gazevorhang die Köpfe sehr gegenwärtiger Machthaber: Trump, Kim Jong-un, Putin, Erdogan, Assad. Dann öffnet sich ein kreisförmiger, mystischer Finsterwald mit schwarz/weiß negativ projiziertem Geäst, tauchen – wie im Horrormärchen – drei wahrsagende Hexen mit offenliegenden Hirnen aus dem Dunkel auf, dreht und wendet sich eine aus dem zerklüfteten Boden steigende Riesenhand und schwebt ein mächtiger Steinquader über der Szene.
Sind wir jetzt wieder ganz und gar in den fernen Zeiten der Duncans, Macbeths, Macduffs? Oder in einer tief in uns verborgenen Seelenqualenhölle, in der quer durch die Jahrtausende immer wieder aufs Neue das Böse entsteht? Die Männer tragen Tarnanzüge und Lederstiefel, wie sie bei den kämpfenden Truppen heutzutage üblich sind. Nur die Könige zieren dazu noch Goldkrönchen und güldenes Hemd. Und Lady Macbeth trägt ein langes, weitgeschlitztes Designerkleid.
Eigendynamik der Gewalt
Schon eskaliert die Gewalt aus Worten und Taten, setzt sich jene Eigendynamik in Gang, aus der es für das mörderische Paar kein Entrinnen gibt. Dank Shakespeares Blick – in der Übersetzung von Thomas Brasch – und dem eindringlichen Spiel von Evelyn Fuchs (Lady Macbeth) und Sven Zinkan (Macbeth) wird die Melange aus Trieb, Gier, Wahn, Selbstzweifel, Angst, Hass und gegenseitigem Besitztum deutlich, wobei die Anstachelung der Gier durch sexuelles Verlangen durchaus massiver hätte gezeigt werden können.
Damit enden allerdings die visuellen Reminiszenzen an menschlich Gegenwärtiges. Die Handlung scheint sich in diesem mystisch-mythischen Urgrund des Seins festzusetzen, den Bühne und Projektionen suggerieren. Man könnte auch sagen: zu verlieren.
Assoziationen zum Verhalten von Autokraten und Diktatoren im Hier und Jetzt zu entwickeln, fällt dem Betrachter der inneren und äußeren Kämpfe auf der Bühne zunehmend schwer.
Kämpen wie Macduff (Vivian Frey), Banquo (Yannick Fischer), Malcolm (Björn Boresch), Donalbain (Phillip Henry Brehl), Lennox (Peter Bernhardt), Rosse (Matthias Herold) und Angus (Renatus Scheibe) mühen sich mit großer spielerischer Passion, ihre Nöte und Leiden und Machenschaften in Worten und Taten kundzutun.
Es bräuchte leisere, intimere Töne
Sie schreien und flüstern und fallen und rappeln sich hoch und schreiten und laufen quer und längs über die Bühne. Treten auf und gehen ab. Macduff und Macbeth kämpfen am Ende mit großem „Uuuh“ und „Aaah“ und Dolchgeklinge ums nackte Leben. Aber sie entfernen sich mit jedem Theatergerassel mehr von den gegenwärtigen Machtgestalten, mit denen man sie ja gerne in Verbindung bringen wollte. Man kann sich beileibe und beiseele nicht die finsteren Potentaten des Jahres 2017 als solche Bühnenfiguren vorstellen. Dazu bräuchte es viel mehr leisere, intimere, unauffälligere, verschwiegenere Töne. Fast fühlt sich der Rezensent am Ende wieder in seiner Meininger Macbeth-Kritik aus dem Jahr 2002: „Sie spielen und reden gut, aber – bis auf ein paar exklusive Augenblicke – bleiben sie Bühnenfiguren.“
Nächste Vorstellungen: 14. Mai, 15 Uhr. 26. Mai, 10. und 22. Juni, jeweils 19.30 Uhr. Kartentelefon Tel. (0 36 93) 45 12 22. www.das-meininger-theater.de