„Take a walk on the wild Side“, sinngemäß in etwa: Geh auf der abenteuerlichen Straßenseite des Lebens, sang Lou Reed zu Beginn seiner Solokarriere. Das Lied wurde zur Hymne – und zu seinem persönlichen Lebensmotto. Der ehemalige Sänger der Avantgarde-Rock-Band Velvet Underground trägt heute noch einen wilden Haarschopf und hat jede Menge neuer, abenteuerlicher Ideen im Kopf. Am Freitag (2. März) wird der in der New Yorker Vorstadt Freeport auf Long Island geborene Musiker 70 Jahre alt.
Vielleicht macht das einen echten Musik-Rebellen aus: Er lässt sich von seinen eigenen Projekten mitreißen. „Lulu“, das Konzeptalbum, das Reed mit der Metal-Band Metallica im vergangenen Herbst veröffentlichte, ist so ein Fall. Es basiert auf dem gleichnamigen Drama von Frank Wedekind, die Texte handeln von Verstümmelung, Inzest, Blut. Reed ist der Meinung, er hätte nie etwas Besseres geschrieben. „Da steckt so viel Wut drin, es ist berauschend. Manchmal finde ich es so emotional, dass ich aufstehe und es ausmachen muss“, sagte er. Viele Metallica-Fans waren von der Zusammenarbeit weniger nicht begeistert.
Homosexuelle Neigungen
Die Jugend Reeds war schwierig. Seine Eltern schickten ihn wegen homosexueller Neigungen in psychiatrische Behandlung. Angeblich soll er dort Elektroschocks erhalten haben. Seine Karriere startete 1965 mit Velvet Underground – einer Band, bei der das Etikett „legendär“ ausnahmsweise mal zutrifft. Nur fünf Jahre reichten, um Reed einen prominenten Platz in der Rockgeschichte zu sichern. Mit ihrem düster-schrägen Sound stellte sich die von Andy Warhol protegierte Gruppe gegen die aufkommende Hippie-Bewegung – zunächst ohne großen kommerziellen Erfolg.
Ironie der Rock-Geschichte: Das von der Kritik gelobte Album „Loaded“, das deutlich Reeds Handschrift trägt, kam erst kurz nach dessen Bandausstieg 1970 auf den Markt. Stücke wie „Sweet Jane“ oder „Rock 'n' Roll“ wurden zu Klassikern in seinem Repertoire. Legendär sind auch seine Soloalben „Transformer“ (1972), die grelle Lärmorgie „Metal Machine Music“ (1978) sowie seine Comeback-CD „New York“ (1989). Sie prägten den kühlen Stil Reeds und sein Motto: „Ich mag Musik, die mich körperlich erschüttert.“ Der sanfte Song „Perfect Day“, der in dem Film „Trainspotting“ (1996) zu neuen Ehren kam, hört sich an wie eine Liebeserklärung. Viele deuten es allerdings als Lobgesang auf seinen Drogenkonsum.
Denn Reed sorgte nicht nur mit seiner Musik für Schlagzeilen. Immer wieder wurde von Drogenexzessen des Musikers berichtet, der Ende der 1970er Jahre mit David Bowie und Iggy Pop in einer Wohngemeinschaft im Westen des geteilten Berlins lebte. Sein verwittertes, verlebtes Gesicht spricht eine deutliche Sprache. Aber Reed gehört aber wie Pop und Bowie zu den Überlebenden.
Neuland betrat er 1996 mit der Komposition des Musicals „Time-Rocker“, das Regisseur Robert Wilson am Hamburger Thalia Theater inszenierte. Für das Werk „POEtry“ setzte Reed ebenfalls gemeinsam mit Wilson Gedichte und Texte von Edgar Allen Poe musikalisch um.
Hochzeit mit Laurie Anderson
Zwei Jahre später veröffentlichte er die CD-Fassung des Theaterstücks unter dem Titel „The Raven“ (2003). In Sing- und Sprechrollen wirkten dabei David Bowie – sein alter Freund aus Glam-Rock-Tagen – sowie die Schauspieler Willem Dafoe und Steve Buscemi mit.
Nach jahrzehntelangem Rebellentum schaffe es Reed mit seinen Songs „immer noch, Exzentrik und Provokation mit intellektuellem Biss und poetischer Ausdruckskraft zu verbinden“, lobte ein Kritiker den Altmeister. Auf der Bühne hat Reed ebenfalls nichts von seiner Faszination verloren – auch wenn seine Live-Auftritte keine grellen, selbstzerstörerischen Horrortrips mehr sind. Stattdessen tritt er mit der Performance-Künstlerin Laurie Anderson (64) auf, seiner langjährigen Lebensgefährtin, die er im April 2008 geheiratet hat. Manchmal singen sie dann auch „I'll be your Mirror“ – eine Liebeserklärung aus Velvet-Underground-Tagen.