Kaya Yanar gehörte vor gut 15 Jahren zu den ersten Ethno-Comedians in Deutschland, die Themen wie Integration oder multikulturelle Gesellschaft für Komik und Satire entdeckten. Seinen Durchbruch hatte er mit der Sat.1-Show „Was guckst du?!“, deren Titel zum geflügelten Wort wurde, ebenso wie der Türsteher-Spruch „Du kommst hier net rein!“ Bis heute liebt das Publikum auch Yanars Kunstfiguren, den türkischen Proleten Hakan und den indischen Einfaltspinsel Ranjid. Kaya Yanar wurde 1973 als Sohn türkisch-arabischer Einwanderer geboren. In den letzten Jahren hat er sich vor allem als Stand-Up-Comedian profiliert.
Wir sind für 12 Uhr zum Telefoninterview verabredet. Um 12.03 Uhr klingelt das Telefon. Genau richtig: nicht penetrant pünktlich, nicht unhöflich unpünktlich.
Kaya Yanar: Ja, aber da spiele ich auch ein wenig damit. In der Regel bin ich schon pünktlich. Aber ich glaube, wir haben schon drei nach – so pünktlich, wie Sie meinen, bin ich gar nicht.
Yanar: Ich trug am Anfang tatsächlich Kappe, dann habe ich sie weggelassen, weil sie mich genervt hat, und irgendwann zwangen mich meine Haare dazu, wieder die Kappe zu nehmen. Das ist bei mir so ein kleines Hin und Her. Aber ich habe auch auf die Kappe zurückgegriffen, um die Marke nochmal zu stärken. Die Kappe war ein Erkennungsmerkmal. Inzwischen gibt es viele Comedians, die ähnlich aussehen, also bin ich jetzt wieder der mit der Kappe.
Yanar: Nach 15 Jahren immer noch. Dieser Satz kam damals, weil ich versuchte, meine Karriere als Stand-up-Comedian zu etablieren, was ja was anderes ist, als der Fernseh-Comedian, der in Verkleidung auftritt. Das habe ich auch erreicht in den letzten zehn Jahren mit verschiedenen Bühnenprogrammen. Deshalb trenne ich das nicht mehr so. Heute mische ich das ganz gern mal. Ich wollte damals nur verhindern, dass die Leute denken, das wird jetzt eine lustige Verkleidungsarie.
Ich habe gemerkt, dass die Leute die Figuren wahnsinnig lieben, teilweise sind sie mit ihnen aufgewachsen, also warum soll ich sie ihnen nicht geben? Das ist eigentlich eine sehr schöne Sache. Ich schaffe es zwar nicht, Ranjid in voller Montur zu spielen, weil der wahnsinnig viel Schminkzeit braucht. Aber Hakan ist überhaupt kein Problem. Perücke und Bomberjacke, und schon ist man Hakan. Und so nehme ich ihn mit auf Tour. Er macht die ersten zehn Minuten des Abends – Security, wo die Notausgänge sind, dass fotografiert werden darf aber nicht gefilmt und so.
Yanar: Richtig. Das kommt auch in meinem aktuellen Programm vor, allerdings müssen die Leute warten bis zur zweiten Hälfte. Weil ich mein bestes Pulver nicht gleich am Anfang verschießen möchte. Aber die letzten zehn, zwölf Minuten haben tatsächlich ziemlich viel indisches Material und Ranjid. Und die Leute lieben das. Auch nach 15 Jahren finden die Leute Ranjid und alles, was mit Indien zu tun hat, wahnsinnig lustig.
Yanar: Ja, ziemlich…
Yanar: Ja, noch nicht mal die Russen kommen mit. Keiner kommt mit. Ja, das Klima hat sich extrem verändert. Als ich anfing, war es cool, auf dem Pausenhof den Hakan und die Kanak-Sprak, dieses gebrochene Deutsch zu imitieren. Ich bin Baujahr 1973 – seit über 40 Jahren kriege ich das in Deutschland mit, so angespannt habe ich das noch nie erlebt. Ich finde das besorgniserregend. Da ist eine Entfremdung passiert zwischen der deutschen Bevölkerung und vielen Türken – ich sage jetzt nicht allen. Über 60 Prozent der türkischstämmigen Wähler in Deutschland haben für Erdogan gestimmt und das Präsidialsystem. Das stößt natürlich auf Unverständnis. Die Deutschen sagen, seid ihr denn nicht genug aufgeklärt? Es wurde doch genug informiert über die Ein-Mann-Autokratie und die Gefahren? Aber derzeit ist die türkische Kultur hier nicht so sexy, gerade nach den Verbalangriffen Erdogans. Ich hoffe trotzdem, dass er jetzt nicht der Autokrat wird, aber da müssen wir mal abwarten. Momentan ist leider weltweit die Stunde der Populisten.
Yanar: Es ist nicht mehr so sorglos wie früher, keine Frage. Da gab es so eine Toleranz auf allen Seiten. Mittlerweile sind alle sehr sensibel, sehr empfindlich. Ich streue das auch in meinem Programm ein: Ich mache Gags darüber, dass ich keine Gags darüber mache. Einer lautet zum Beispiel: Kaya, warum machen nicht mehr Leute Witze, gibt es keine guten Satiriker in der Türkei? Dann sage ich: Doch, im Gefängnis. Und dann erzähle ich, was „Satire“ auf Türkisch heißt, nämlich „Taºlama“. Übrigens gleichbedeutend mit „Steinigung“. Das ist auch Aufgabe eines Komikers: Dass er Stellung bezieht. Und dass er, wenn er keine Stellung bezieht, auch daraus einen Witz macht. Und an dem Punkt bin ich.
Yanar: Ich kann mit meiner Comedy sowieso nicht die Leute erreichen, die Erdogan gewählt haben. In der Türkei schon mal gar nicht. Ich kann nur die erreichen, die offen sind und liberal und demokratisch denken. Da mache ich mir keine Illusionen, dass ich groß politisch Einfluss nehmen kann.
Yanar: Da hatte ich wohl das Glück, dass man mich als Komiker politisch nicht ernstnimmt. Ich bin aber nicht wie mein Kollege Serdar Somuncu, der ja richtig aggressiv austeilt. Das ist gar nicht meine Art. Serdar kriegt massive Drohungen. Ich gehe da eher spitzbübisch vor und er definitiv mit der Brechstange.
Yanar: Viel mehr Angst als vor Erdogan, der ja höchstens nochmal vor Wien stehen könnte, habe ich vor Trump. Je nachdem, was er sich die Woche geleistet hat, mache ich dann meine frechen Sprüche. Der Mann mit dem toten Hamster auf dem Kopf, der hat halt die Köfferchen, und der kann auf den Knopf drücken, wenn er einen schlechten Tag hat oder sich mit dem Irren in Nordkorea anlegt. Das macht mir viel mehr Angst, als ein Türke, der versucht, das osmanische Reich wieder aufzubauen.
Yanar: Ich glaube, dass das Publikum politischer wird, und sich dadurch der Komiker automatisch anpasst. Ein sensibler Komiker schaut natürlich, was die Leute beschäftigt. Es gibt diesen schönen Spruch: Ein Künstler macht das, was er für richtig hält. Ein guter Künstler macht das, was er für richtig hält, und spricht dabei auch noch die Leute an. Ich mag mein Publikum sehr, und ich habe das Gefühl, dass die Leute nicht umhin kommen, politischer zu werden, weil das alles immer näher rückt an das eigene Leben.
Man kann heute nicht mehr sagen, die da oben machen halt irgendwas, und ich gehe arbeiten und kümmere mich nicht darum. Durch die mediale Vernetzung ist man viel näher dran am Geschehen.
Yanar: Ich habe beobachtet, dass es zwei Strömungen von Unterhaltung in Deutschland gibt – es gibt die, die immer politischer werden, neben denen, die das immer schon bedient haben. Und es gibt die, die das nach wie vor konsequent ignorieren – Schlager, heile Welt und so. Ich bewerte das nicht, beides ist vollkommen in Ordnung. Ich sage nur, das sind die Strömungen, die ich beobachte.
Yanar: Ich bin natürlich auch enttäuscht. Ich war vor 15 Jahren der erste ausländischstämmige Komiker, der eine eigene Show bekommen hat und seinen Durchbruch hatte. Das war eine tolle Stimmung damals 2001. Aufbruchstimmung – die Integration geht sogar schon so weit, dass die eine eigene Fernsehsendung haben, hieß es. Und es machte den Kids Hoffnung, dass man mit Einsatz und Talent und Willen wo hinkommen kann. Aber irgendwie ist das alles abgeglitten.
Yanar: Ich hatte, glaube ich, ein Dreivierteljahr vor 9/11 meinen Durchbruch gehabt. Und dann hieß es plötzlich Orient gegen Okzident. Schon 2002 merkte ich, dass die Stimmung sich veränderte. Dann kam der Irakkrieg – „Massenvernichtungswaffen, ach, doch keine Massenvernichtungswaffen“ -, Verschwörungstheorien, Misstrauen, Terroranschläge, noch mehr Misstrauen gegenüber den muslimischen Mitbürgern. Dann haben es die muslimischen Mitbürger, die in Deutschland leben, auch versäumt, Stellung zu beziehen. Da kamen Parolen, die ich nicht so gut finde: „Jaaa, das hat alles mit dem Islam nichts zu tun.“ Das haben die Deutschen irgendwann nicht mehr geglaubt, als sich die Anschläge häuften. Es gab viele Versäumnisse auf beiden Seiten. Dazu kam Perspektivlosigkeit auf türkischer Seite, Bildungsschwierigkeiten. Es wurde nicht genug investiert, auf welcher Seite, das können Sozialwissenschaftler besser beantworten. Dann kam die Flüchtlingswelle. Als Merkel gesagt hat, „Wir schaffen das!“, hat sie halt nicht gesagt, wie. Dann passierte Köln, und die Stimmung kippte immer mehr.
Yanar: Mehr investieren. In die Jugend, in die ausländische Jugend, ob Türken oder Flüchtlinge. Ich sage immer: Gebildete Menschen machen keinen Stress. Die haben einen Job, die genießen ihr Leben und haben keinen Grund, die westlichen demokratischen Werte infrage zu stellen. Ich bin auch über das Wahlergebnis in Deutschland für Erdogan erschrocken Hätte ich nie im Leben gedacht. Da gibt es wohl eine Parallelgesellschaft, die ich und auch meine türkischstämmigen Kollegen nie erreicht haben. Da gibt es Leute, die seit 40 Jahren in Deutschland leben, kein Wort Deutsch können und Werte leben, die veraltet sind, die vielleicht in den 60er und 70er Jahren aktuell waren. Erdogan verspricht ja immer Identität, Stärke und Größe. Aber ich brauche doch keine übergeordnete Identität, wenn ich selber meinem Leben eine Bedeutung und eine Identität gegeben habe.
Yanar: Teilweise aber auch verständlich, wenn ich sehe, wie die Europäische Union die Türkei behandelt hat in den letzten 20 Jahren. Die „privilegierte Partnerschaft“ war natürlich ein Hinhaltemanöver, das wussten alle, und ich habe in meiner Karriere unzählige Gags darüber gemacht. Man hätte vielleicht den Deutschtürken nicht so einen triftigen Grund geben müssen, so misstrauisch zu werden. Das hat schon viele Leute tief verletzt und Erdogan wohl auch. Aber er weiß: Er bleibt ein wichtiger Nato-Partner, die Amerikaner brauchen ihn. Deutschland kann ihm wahrscheinlich egal sein.
Kaya Yanar tritt am Donnerstag, 4. Mai, um 20 Uhr mit seinem Programm „Planet Deutschland“ in der Würzburger Posthalle auf. Karten unter Tel. (09 31) 60 01 60 00.