(dpa/epd) Die „Nobel-Zocker“ haben diesmal nach Punkten verloren, der globale Proporz ist ein bisschen zurechtgerückt, und über die politische Bedeutung kann man streiten. Nach der Entscheidung der Juroren, den Literaturnobelpreis an den chinesischen Schriftsteller Mo Yan (57) zu vergeben, sind die ersten Reaktionen in Stockholm so bunt wie derzeit das schöne Herbstlaub auf den Bäumen von Schwedens Hauptstadt.
Klar, dass die Juroren der ehrwürdigen Schwedischen Akademie ihre Entscheidung selbst als völlig unstrittig einstuften. Mo Yan sei wie eine einzigartige Mischung aus den Literaturklassikern William Faulkner, Charles Dickens und François Rabelais, schwärmte Akademiesprecher Peter Englund. „Mo Yan ist ein unglaublich subjektiver Erzähler von größter Sensibilität und Schönheit“, beschrieb er seine Leseeindrücke.
Wie immer wies er alle Fragen nach geografischem oder sonstigem Proporzdenken bei der Vergabe nach Asien zurück. Es zähle stets nur die literarische Qualität eines einzelnen Autors, lautet das Jahr um Jahr wiederholte Akademie-Credo. Aber dass bis auf den im französischen Exil lebenden Gao Xingjian (62), der 2000 den Nobelpreis bekam, seit 1901 nicht ein einziger Chinese und alles in allem nur drei Autoren aus Asien den wichtigsten Literaturpreis der Welt bekommen haben, sieht wohl auch für die Juroren „schief“ aus.
Frage nach politischer Haltung
Mo Yan hat indes die Bedeutung der Auszeichnung für sich heruntergespielt. „Ich habe mich sehr gefreut, als ich die Nachricht gehört habe“, sagte der Schriftsteller am Donnerstag der Nachrichtenagentur China News Service. „Doch glaube ich nicht, dass der Preis etwas bedeutet. China hat viele großartige Schriftsteller, die auch dazu befähigt sind, von der Welt anerkannt zu werden.“ Nun wolle er sich zunächst auf seine neue Arbeit konzentrieren. Er werde die weiteren Hinweise und Vorbereitungen des Nobelkomitees abwarten, um zu sehen, „ob ich nach Schweden gehe, um den Preis entgegenzunehmen“.
Intensiv dürfte nun die Frage seiner politischen Haltung diskutiert werden. Ist er zu dicht dran am Staatsapparat in Peking, der etwa den Friedensnobelpreisträger von 2010, Liu Xiaobo, nach wie vor als „Aufwiegler“ in Haft hält? Die Schwedische Akademie hält die mancherorts zu hörende Kritik an Mo Yans „Staatstreue“ nicht für relevant: „In seinem Heimatland wird er trotz seiner gesellschaftskritischen Haltung als einer der führenden zeitgenössischen Schriftsteller betrachtet“, hießt es in der schriftlichen Preisträger-Präsentation der Akademie.
Spannend dürfte es werden, wenn sich Mo Yan rund um die Verleihung der Nobelpreise – wie immer am 10. Dezember – in Stockholm selbst äußern wird. Einige Tage davor hält jeder Preisträger den traditionellen „Nobelvortrag“. Manche nutzen ihn für politische Statements, andere bleiben streng literarisch.
Zweifellos ist Mo Yan ein großer Erzähler. Er hat ein Dutzend Romane verfasst (siehe graue Infobox), die weltweit übersetzt werden, manche werden bereits als Klassiker der chinesischen Literatur angesehen. Sein richtiger Name ist Guan Moye. Das Pseudonym Mo Yan bedeutet so viel wie „der Sprachlose“. Mo Yans berühmtestes Werk ist der Roman „Das rote Kornfeld“, der ein weites Panorama chinesischer Geschichte bis zur Zeit des Zweiten Weltkrieges umfasst, von Regisseur Zhang Yimou verfilmt wurde und bei der Berlinale den Goldenen Bären gewann.
Der Schweizer Verleger Julien Leitess beschreibt Mo Yan als bescheidenen, knorrigen, uneitlen Mann. Von großen politischen Diskussionen hält er sich fern. In den Kontroversen zwischen chinesischen Dissidenten und der Kommunistischen Partei exponierte er sich nicht. Stattdessen plädiert der 1955 Geborene für die Freiheit des Autors, der seiner Fantasie verpflichtet sei. Dabei blieb der Sohn eines Bauern aus der Küstenregion Shandong immer ein treuer Diener seines Staates. Doch unkritisch ist Mo Yan deshalb nicht. „Schriftsteller sind die Ärzte der Gesellschaft“, sagte er 2009 der „Frankfurter Rundschau“, als er offiziell vom damaligen Gastland China zur Buchmesse eingeladen war.
Immer märchenhafter
1975, im Alter von 20 Jahren, trat er in die Armee ein, begann in dieser Zeit mit ersten Erzählungen und studierte an der Hochschule der Volksbefreiungsarmee. Ende der 80er Jahre erschienen die Bücher, die ihn bekannt machten und ihm das Leben eines freien Schriftstellers ermöglichten, „Das rote Kornfeld“, „Die Knoblauchrevolte“, „Dreizehn Kapitel der Freude“. In regelmäßigen Abständen veröffentlichte Mo Yan Romane, die zunehmend märchenhaft wurden und tief in der nationalen Geschichte graben.
Dabei schreckte er vor politischen Themen nicht zurück. Das Epos „Der Überdruss“ etwa erzählt die Zeit von Mao Tse-tungs Landreformen in den 50er Jahren und ihren Opfern. Es verfolgt die Schicksale seiner Figuren über mehrere Jahrzehnte und liefert ein getreues Bild der historischen Abläufe. Dabei ist der Stil seiner Bücher der lyrischen, sehr bildhaften Tradition der chinesischen Literatur verpflichtet. Er integriert fantastische, traumhafte Elemente und verarbeitet klassische Bilder und Motive.
Einige Werke von Mo Yan
• Der kristallene Rettich (Original: 1986, auf Französisch: 1993) • Das rote Kornfeld (1987) • Die Knoblauchrevolte (1989, auf Deutsch: 1997) • Die Schnapsstadt (1993, auf Deutsch: 2002) • Große Brüste und breite Hüften (1996, auf Englisch: 2004) • Die Sandelholzstrafe (2001, auf Deutsch: 2009) • Der Überdruss (2008, auf Deutsch: 2009) • Frösche (2012, soll auf Deutsch 2013 erscheinen)