Es sind die frühen 60er Jahre, Deutschland ist noch in der Pubertät, genau wie der knapp 15-jährige Markus. Er hat einen Vater, der enervierend oft Kriegserlebnisse aus Stalingrad zum Besten gibt, und eine Mutter, die gern aus Holunderbeeren Marmelade kocht, während sie Schlager wie „Ramona, zum Abschied sag' ich dir Goodbye“ singt. Seine ältere Schwester Hanna behandelt ihn mit herablassender Arroganz, seine Oma schikaniert ihn im Befehlston – ein Teenagerschicksal wie das Tausender anderer. Klaus Modick hat einen seiner besten Romane darüber geschrieben: „Klack“.
„Klack“ ist das Geräusch, wenn Markus auf den Auslöser seiner neuen Kamera drückt – eine Agfa Clack, „einlinsiges Objektiv, Rollfilm, Format 6 x 9“. Anfang der 60er Jahre ging man dabei noch sehr sparsam vor, weil Filme und Entwicklung teuer waren. Bei Opas Beerdigung hat Markus fotografiert, seine Fußballmannschaft oder die neue Eisdiele der Familie Tanotti, die aus Apulien nach Deutschland gezogen ist. Zu ihr gehört auch Clarissa, deren Namen Markus hundertfach aufs Löschpapier schreibt und beim Einschlafen flüstert. Er würde alles tun, um ihr näherzukommen – sogar Gitarrenunterricht bei ihrem Vater nehmen oder beim Renovieren der Eisdiele helfen. Und das alles heimlich, damit Oma nicht wieder meckert, die in ihrem Alltagsrassismus junge Italienerinnen für Flittchen hält und auf „Spaghettifresser“ nicht gut zu sprechen ist.
Wie so oft in seinen Romanen verwebt Modick verschiedene Themen: die Liebesfantasien eines pubertierenden Teenagers, die weltpolitischen Ereignisse auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges und den Alltag in der deutschen Nachkriegsgesellschaft, in der ungern offen über die Jahre der Nazidiktatur gesprochen wird, die braune Vergangenheit aber immer wieder durchscheint. Auch deshalb ist „Klack“ nicht so einfach in eine Schublade zu packen: Es ist gleichzeitig ein Zeitporträt, eine Familiengeschichte, ein Jugend- und Gesellschaftsroman. Modick ist ein vielseitiger Erzähler. In Romanen wie „Bestseller“ über die bizarren Seiten des Literaturbetriebs zieht er satirisch vom Leder, in „Die Schatten der Ideen“ über die Paranoia der McCarthy-Ära in den USA ist der Ton deutlich ernster. In seinem jüngsten Werk macht er es Lesern leicht: Seine jugendliche Hauptfigur berichtet anschaulich aus der Ich-Perspektive.
Mit „Klack“ beweist Modick einmal mehr, wie angenehm unaufgeregt er erzählen kann, schnörkellos, aber pointenreich, mit viel Gespür für subtile Komik. Dazu tragen die regelmäßig zitierten Schlager bei: „Am 30. Mai ist der Weltuntergang“ etwa, ein populärer Hit dieser Zeit, der das Zeitgefühl einer Welt am atomaren Abgrund zum Ausdruck brachte.
Wie oft bei Modick scheint Autobiografisches durch – ohne dass das Buch autobiografisch ist. Das ginge schon rein rechnerisch nicht: Der Autor, Jahrgang 1951, war zur Zeit des Mauerbaus gerade zehn Jahre alt. Markus ist fast fünf Jahre älter. Wer beim Lesen hie und da an Walter Kempowski denkt, liegt nicht falsch: Immer wieder zu hörende Sprüche aus der Abteilung familiäre Volksweisheiten oder Zitate aus der Werbung der frühen 60er Jahre („Brisk – und das Haar sitzt“) erinnern an Kempowski-Werke wie „Tadellöser & Wolff“. Modick nennt das „einen späten Gruß an den Meister“.
Klaus Modick: Klack (Kiepenheuer & Witsch, 220 Seiten, 17,99 Euro)