Benjamin Lebert ist fasziniert vom Zeitalter der Romantik. „Ich glaube, dass mein Herzschlag dort zu hören ist“, hat der 32-jährige Bestseller-Autor („Crazy“) einmal gesagt. Vielleicht ist es deshalb nicht so überraschend, dass er nun mit einem romantischen Schauerroman eine literarische Annäherung an diese Epoche sucht. Zumindest spielt „Mitternachtsweg“ mit Elementen der Gothic Novel.
Eine windumtoste Nordsee-Insel, ein verlassener „Friedhof der Heimatlosen“, eine vom Wattenmeer verschluckte junge Frau, ein geheimnisvoller Handschuh, das sind die Zutaten dieses Romans, der sich deutlich von Leberts Vorgängerbüchern mit ihren jugendlichen Sinnsuchern, Psychiatrieinsassen und Ausbrechern unterscheidet. Anders als in diesen radikal in der Gegenwart verankerten Büchern entspinnt sich eine komplexe Geschichte, in der das Gestern und Heute eng verwoben sind.
Mehrere Handlungsstränge
Zunächst begegnet der Leser dem Lübecker Lokalredakteur Maydell, der sich bereits im Ruhestand befindet, seine Redaktion aber regelmäßig noch mit Notizen aus der Provinz beliefert. Maydell ist zum Teil ein Alter Ego des Autors. Zumindest liebt er auch die Romantiker: „Wenn er eine kurze Zeitreise hätte antreten können, dann wäre seine Wahl auf diese Epoche gefallen, wo die Menschen einen schmerzlich sehnsuchtsvollen Blick in die Weite warfen, die das Leben war, und hofften sich selbst darin zu erkennen.“
Vielleicht ist er deshalb besonders empfänglich für die Berichte, die ihm der junge Hamburger Historiker und Heavy-Metal-Fan Johannes Kielland zur Veröffentlichung schickt. Es sind verwunschene, geheimnisvolle Geschichten mit „Gänsehautfaktor“, die die Leser faszinieren. Eines Tages kündigt Kielland dem Redakteur mit unheilschwangeren Worten seine letzte Geschichte an. Er schickt ein umfangreiches Manuskript, das den größten Teil des Buches einnimmt. Kielland erzählt darin von seinen Recherchen über einen mysteriösen Todesfall.
Im Sog der Vergangenheit
In Westerland wurde die Leiche eines unbekannten Mannes angespült. An der linken Hand trug er einen schwarzen Handschuh. Er wurde auf dem „Friedhof der Heimatlosen“ beigesetzt. Eines Tages meldet sich eine junge Frau namens Helma Brandt bei dem jungen Historiker und stellt sich als Geliebte des Toten vor. Um mehr zu erfahren, begibt sich Kielland nach Westerland und stößt dort auf eine alte, rätselhafte Geschichte.
1939 verschwand ein Liebespaar spurlos auf dem „Mitternachtsweg“ im Wattenmeer. Der Mann war ein junger Musiker und Flüchtling aus Hamburg, die Frau eine schöne Gastwirtstochter. Sie hieß Helma Brandt. Mehr und mehr gerät Kielland in den Sog einer Vergangenheit, die sich auf verhängnisvolle Weise mit der Gegenwart zu verknüpfen scheint und in der es nicht nur um eine große Liebe, sondern auch um große Schuld geht.
Benjamin Lebert: Mitternachtsweg (Hoffmann und Campe, 240 Seiten, 18 Euro)