Die Geschichte der Seefahrernation Bayern ist, nun ja, eine eher glanzlose, sieht man von der Tatsache ab, dass ein Bayer praktisch das U-Boot erfunden hat, nämlich Wilhelm Bauer (1822–1875), ein Unteroffizier aus Dillingen in schleswig-holsteinischen Diensten. Länger ist die Liste der weniger rühmlichen bayerischen Begegnungen mit der See. So verkaufte der Markgraf von Ansbach-Bayreuth im 18. Jahrhundert seine Untertanen als Soldaten für den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Man kann wohl davon ausgehen, dass ihre Atlantiküberquerung ebenso unromantisch war wie die der vielen tausend Bayern, die im 19. Jahrhundert nach Amerika auswanderten.
Die Landesausstellung „Main und Meer“ in der Schweinfurter Kunsthalle widmet dem Thema Bayern und die hohe See ein ausführliches Kapitel. Mit einem Schwerpunkt auf der Wende zum 20. Jahrhundert, als das Königreich sich einem kollektiven Taumel der Begeisterung für die kaiserliche Kriegsflotte hingab. Aber auch mit jüngeren Beispielen dafür, dass aus der Verbindung von Alpen und Ozean selten Gutes entstand.
So verschwand am 12. Dezember 1978 das 261 Meter lange Containerschiff „München“ mit 28 Mann Besatzung im Nordatlantik – vermutlich wurde es von einer 30 bis 40 Meter hohen Monsterwelle versenkt. Das Schiff ist bis heute verschollen, gefunden wurden bei der Suchaktion mit rund 100 Schiffen lediglich ein paar Schwimmwesten, Rettungsringe und unbenutzte Rettungsinseln. Im Februar 1979 tauchte ein Rettungsboot der „München“ auf, ein herausgebrochenes Stück davon ist in Schweinfurt zu sehen.
Das Schicksal der „München“, so erfahren Besucher auf den Führungen durch die Landesausstellung, setzte den Schlusspunkt unter ein leidiges Kapitel glückloser Schiffstaufen: Schiffe mit dem Namen „München“ waren immer irgendwie vom Pech verfolgt. Seit der Katastrophe von 1978 meiden Reeder und Eigner ihn endgültig.
Dabei war Bayern, bevor es sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter der Meinungsführerschaft der CSU das bis heute gültige Bild der selbstgenügsamen Insel der Seligen gab, ein Landstrich, dessen Bewohner durchaus das Fernweh kannten. Im Kaiserreich vermischte sich dieses Fernweh immer mehr mit dem Traum von der Weltmacht deutscher Nation, den die Bayern mitträumten, wenn auch ihr König ihn nicht teilte. Geträumt wurde aber nicht etwa von Stränden unter Palmen in der Südsee, sondern von einer unbesiegbaren Marine. „Es entstand eine weitgehend kritiklose preußisch-deutsche Militärverherrlichung in weiß-blauer Einfärbung“, schreibt Rainhard Riepertinger, Projektleiter des Hauses der Bayerischen Geschichte, im Katalog.
Symbol für diesen Traum wurde ein Kleidungsstück: der Matrosenanzug beziehungsweise das Matrosenkleid für Buben und Mädchen, das sich besonders in den Jahren unter der Herrschaft Wilhelms II., also von 1888 bis 1918, großer Beliebtheit erfreute – nicht zuletzt in Bayern, vor allem beim Bürgertum, aber auch auf dem Lande. In den Kinderzimmern dominierten auch sonst militärisch-maritime Motive: Zinnsoldaten am Steuerrad, Kartenspiele, bei denen der Spieler entweder Matrose oder Admiral werden konnte, Schlachtschiffe als Blechspielzeug, und sogar Kindergeschirr mit Flottenmotiven gab es.
Mit seinen Worten „Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser“ hatte Wilhelm II. 1898 den Startschuss für ein gigantisches Rüstungsprogramm gegeben. Das Flottengesetz aus demselben Jahr sah den Bau von sieben Schlachtschiffen und 19 Kreuzern binnen fünf Jahren vor. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts floss mehr als die Hälfte des Verteidigungshaushalts in den Schlachtschiffbau. Bei Kriegsbeginn 1914 verfügte die kaiserliche Marine über 35 Schlachtschiffe, 54 Kreuzer, 130 Torpedoboote und 30 U-Boote. Einige trugen Namen mit bayerischem Bezug, so war die „SMS Bayern“ eines der größten Schlachtschiffe. Es gab eine „SMS Augsburg“, eine „SMS Nürnberg“, eine „SMS Wittelsbach“ und eine „SMS Prinzregent Luitpold“. Eine „SMS König Ludwig“ gab es aus oben genannten Gründen übrigens nicht.
Wichtigstes Propagandainstrument, um die Begeisterung zu schüren und um Druck auf Reichstag und Parteien auszuüben, war der 1898 gegründete Deutsche Flottenverein, der sich schnell zum größten deutsch-nationale Verein des 20. Jahrhunderts entwickelte. In seiner Hochzeit zählte er rund eine Million Mitglieder. Der Verein war dem Kaiser eng verbunden, Wilhelm II. wirkte sogar bei der Gestaltung des Vereinsabzeichens mit. Im Königreich Bayern gab es 350 Ortsgruppen, allein in Unterfranken 42. Zum Vereinszweck heißt es in einer Broschüre: „Durch das gesprochene und geschriebene Wort will er überall im deutschen Volke die Ueberzeugung pflanzen, daß der rasche, ungesäumte Ausbau unsrer Kriegsflotte eine Lebensbedingung für das deutsche Volk ist.“ Effektiver als markige Parolen aber waren vermutlich die „kinematographischen Vorführungen“, die der Flottenverein im ganzen Reich anbot. Lange bevor es etablierte Kinos gab, konnten die Menschen spektakuläre Bilder sehen, wie stolze Schiffe das Meer in voller Fahrt durchpflügen. Aus den Jahren 1905 und 1907 sind solche Vorführungen mit Hunderten von Zuschauern in Münnerstadt und Schweinfurt überliefert. Nicht selten schloss sich einige Wochen später eine „Fahrt zur Wasserkante“ an, ebenfalls organisiert vom Flottenverein.
In der Kunsthalle ist das Schicksal der Schlachtschiffe mit bayerischen Namen, die den Krieg überstanden, in einem begehbaren – sinkenden – Schiffsmodell dargestellt. Nach dem Waffenstillstand von 1918 wurden sie von ihren Mannschaften versenkt oder später an die Siegermächte ausgeliefert. Die „SMS Bayern“ kenterte und sank auf 40 Meter Tiefe. Erst 1934 konnte sie gehoben werden. Danach wurde sie abgewrackt. Übrig geblieben ist nur die Schiffsglocke, derzeit zu sehen in Schweinfurt.
Die Landesausstellung „Main und Meer“ in der Kunsthalle Schweinfurt ist bis 13. Oktober täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Online-Extra mit weiteren Infos und Bildern: www.mainpost.de/mainundmeer