Keiner hätte gedacht, dass so ein Emporkömmling einmal Kaiser werden könnte. Aber Napoleon Bonaparte (1769-1821), Sohn eines verarmten Adligen auf Korsika, beißt sich durch. Er macht in den Wirren der Französischen Revolution Karriere im Militär, übernimmt die Macht in Frankreich und krönt sich 1804 selbst zum Kaiser. Bald beherrscht er weite Teile Europas. Doch so kometenhaft sein Aufstieg, so tief ist sein Fall. 200 Jahre nach seiner Niederlage bei Waterloo 1815, seiner endgültigen Abdankung und seiner Verbannung nach St. Helena erzählt die Bayerische Landesausstellung in Ingolstadt die Geschichte Napoleons aus dem Blickwinkel des ehemaligen Verbündeten Bayern.
Schon der Schauplatz der Präsentation ist Historie pur: Das Neue Schloss in Ingolstadt – Herberge des Bayerischen Armeemuseums – blieb von der einstigen Landesfestung übrig, die Napoleon 1800/1801 schleifen ließ. Dort übernachtete der Kaiser der Franzosen auch auf dem Feldzug gegen die Österreicher 1809. Und dort traf er den bayerischen Kronprinzen Ludwig, der Napoleon zugleich bewunderte und hasste. So hat das Haus der Bayerischen Geschichte – Hauptorganisator der Schau – Ingolstadt für die Landesausstellung gewählt. Zumal etwa hundert der insgesamt 400 Exponate aus den Beständen des Armeemuseums stammen.
Projektkuratorin Margot Hamm und ihr Team haben bayerischen Ruhm, Glanz und Verderben durch Napoleon augenfällig in Szene gesetzt. Nicht nur Geschichtsbeflissene machen zwischen Ausstellungsarchitektur, pfiffigen Mitmachstationen und bewegenden Inszenierungen ihre Entdeckungen. Denn „auch wer von Geschichte nichts weiß, hat schon von Napoleon gehört“, sagt Hamm. Napoleon sei „ein Hundling“ gewesen, ein „Meister der Propaganda“, dessen Sog man aber nicht erliegen dürfe: „Seine Kehrseite ist das Leid, das er der Bevölkerung gebracht hat.“
Gleichwohl gelingt es der Ausstellung, den Mythos Napoleon, der die Landkarte Europas drastisch veränderte, geschickt zu beleben. Leihgaben aus französischen, russischen, schwedischen und österreichischen Sammlungen versinnbildlichen Krieg und Frieden, Hoffnungen und Ängste der napoleonischen Ära. Unter den Ausstellungsobjekten ist viel Martialisches: Kanonen, Gewehre, Soldatenuniformen und -helme, dreidimensionale Bilder mit Schlachtenszenen, Waffenteile oder ein knöcherner Schädel, der vierzehn Säbelhiebe aufweist. Selbst die Kugel, die Napoleon in der Schlacht bei Regensburg 1809 in den Fuß getroffen haben soll und ansonsten im Pariser Armeemuseum verwahrt ist, kann bestaunt werden. Wie auch Napoleons Hut, der zu seinem Markenzeichen wurde. Ein Zweispitz, wie ihn Offiziere aufsetzten, aber um 90 Grad gedreht. Dieses Originalmodell trug Napoleon auf dem Russlandfeldzug 1812.
Dieser Feldzug wurde zum Wendepunkt in der napoleonisch-bayerischen Allianz: Von den über 30 000 bayerischen Soldaten, die mit der Grande Armée nach Osten zogen, kehrten nur wenige zurück. Napoleons Abstieg begann. Bayern wechselte im letzten Augenblick die Seiten und stand 1815 im Wiener Kongress auf der Siegerseite.
Dabei war es das einstige Bündnis mit dem Franzosenkaiser, das Bayern die Königskrone, ein um weite Teile Frankens und Schwabens vergrößertes Territorium und die erste liberale Verfassung brachte. Damals begann das moderne Bayern – und sein Geburtshelfer war Napoleon. Allerdings war es eine schwierige Geburt, die vor allem für die Bevölkerung mit großen Opfern verbunden war und an deren Ende der Staatsbankrott stand.
Der bayerische Kurfürst Max IV. Joseph und sein Minister Maximilian Montgelas schlugen sich in höchster Not – bedroht auf der einen Seite von den Österreichern, bedrängt auf der anderen von den Franzosen – auf Napoleons Seite. Diese Wahl zwischen Pest und Cholera wurde belohnt: Napoleon erhob Bayern 1806 zum Königreich. Der Preis dafür: die Hand einer Prinzessin. Die Tochter des bayerischen Königs, Auguste Amalie, musste Napoleons Stiefsohn Eugene de Beauharnais heiraten. Ein überdimensionaler Ehering, der in einem Ausstellungsraum von der Decke hängt, verdeutlicht Napoleons Bestreben, durch geschickte Heiratspolitik seinen europäischen Machtbereich zu festigen und von den alten Herrscherhäusern wie die Wittelsbacher oder Habsburger anerkannt zu werden.
Der erste bayerische König, Max I. Joseph, und seine Beamten reformierten nach dem Vorbild Frankreichs das Land. Bayern wurde ein straff organisierter, wesentlich erweiterter Staat. Der Kitt, der das alte und das neue Bayern zusammenhielt, ist die Konstitution von 1808, eine der modernsten Verfassungen ihrer Zeit. Dennoch stand Bayern unter Napoleons Dirigat: Es musste als Verbündeter bei den Feldzügen Soldaten stellen. Bayern selbst war Aufmarsch- und Kriegsgebiet. Bis heute finden sich an vielen Orten Erinnerungsspuren an den Einfall der Soldaten, der häufig genug leer geräumte Felder, Stallungen, Speicher und Vorratskammern hinterließ. Auf bayerischem Gebiet tobten Schlachten zwischen den französischen Heeren unter Napoleon und seinen Gegnern, allen voran Österreich. Hohenlinden und Eggmühl legen davon beredtes Zeugnis ab. Nach den Schlachten blieben Tausende Gefallene und Verwundete zurück.
Der Landesausstellung gelingt es auf geradezu berührende Weise, diese großen Ereignisse biografisch herunterzubrechen: Da gibt es das Kriegstagebuch des einfachen Soldaten Peter Schucher als Exponat. Oder die Brieftasche des Offiziers Cajetan Sales Graf von Spreti aus Straubing, der seinen Tod auf dem Schlachtfeld vorausahnte und darin einen Abschiedsbrief an seine geliebte Ehefrau aufbewahrte. Oder das Reiseservice mit Weinkaraffe und Eierbecher, das ein adliger General der bayerischen Armee mit in den Krieg nahm. Oder die Feldflasche des Tiroler Aufständischen Andreas Hofer, der auf Befehl Napoleons in Mantua hingerichtet wurde, nachdem er sich gegen den bayerischen Landesherrn erhoben hatte. Tirol gehörte ab 1806 von Napoleons Gnaden zum Königreich Bayern. Oder die Weste mit Einschusslöchern des Nürnberger Buchhändlers Johann Philipp Palm, der anonyme antinapoleonische Schriften verlegte und deshalb von Napoleons Schergen erschossen wurde.
Von der Laune des Glücks kündet der Lossack mit den Loskugeln, der für die Rekrutierung der Soldaten diente. Seit 1804 wurden Soldaten in Bayern nicht mehr angeworben, sondern alle Untertanen waren grundsätzlich dienstverpflichtet. Allerdings entschied das Los, wer von den gemusterten und tauglichen Untertanen wirklich für acht Jahre zum Militärdienst eingezogen wurde.
Die Landesausstellung thematisiert die Säkularisation 1803 in Bayern, an der auch Napoleon schuld war: Er genehmigt, dass die deutschen Staaten für Verluste aus den Revolutionskriegen Entschädigungen erhalten. Und was könnte dafür geeigneter sein als der Besitz der Klöster, Stifte und Domkapitel? Letztlich sind aber alle Institutionen wie Reichsstädte oder Reichsadel Verlierer der neuen Zeiten.
Bayern insgesamt verliert durch den Russlandfeldzug Napoleons. Zehntausende bayerische Soldaten sterben – die meisten nicht in den Schlachten, sondern an Krankheiten und Erschöpfung. Bayern wechselt gerade noch rechtzeitig das Bündnis: weg vom sinkenden Stern Napoleon hin zum alten Verbündeten Österreich. An der letzten entscheidenden Schlacht gegen Napoleon, der Völkerschlacht von Leipzig im Oktober 1813, in der der Kaiser eine verheerende Niederlage erlitt, nahmen die Bayern nicht teil. Sie standen jedoch auf der Seite der Sieger. So konnten sie die durch Napoleon gewonnenen Territorien auch im Wiener Kongress sichern.
Bayern erholte sich nur langsam von dem hohen Blutzoll, den es Napoleon mit seinem grenzenlosen Expansionsdrang leisten musste. Dennoch bleiben das vergrößerte Staatsgebiet und die innenpolitischen Errungenschaften. Nicht nur die Landesausstellung belegt, dass es zudem eine spezifisch bayerische Erinnerung an diese Zeit gibt: der Mythos Napoleon a la bavaroise.
Die Landesausstellung
„Napoleon und Bayern“ ist vom 30. April bis 31. Oktober 2015 im Neuen Schloss (Bayerisches Armeemuseum), Paradeplatz 4, 85049 Ingolstadt, täglich von 9 bis 18 Uhr zu sehen.