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Lance Ryan bei den Wagner-Festspielen: Heldentenor hat Angst vor Bayreuth-Publikum
Lance Ryan: „Ich habe noch nie ein Publikum erlebt mit so viel Hass, so viel Wut und so viel Rache.“
Foto: Bayreuther Festspiele/Jörg Schulze, dpa | Lance Ryan: „Ich habe noch nie ein Publikum erlebt mit so viel Hass, so viel Wut und so viel Rache.“
dpa
 |  aktualisiert: 01.08.2014 11:37 Uhr

Lance Ryan hat schon fast überall den „Siegfried“ gesungen – in Bayreuth aber hat er Angst vor dem Publikum. Im Interview spricht der Heldentenor, der im „Siegfried“ und in der ebenso umstrittenen „Götterdämmerung“ zu sehen ist, über die Wut der Bayreuther Opernbesucher. Außerdem erklärt der 43-jährige Kanadier die Besonderheiten der Castorf'schen Freiheit.

Frage: Sie haben viele verschieden angelegte „Siegfried“-Rollen gesungen. Welche hat Ihnen am besten gefallen?

Lance Ryan: Das kann ich so gar nicht sagen. Es geht darum, immer wieder etwas Neues zu entdecken. Und das ist gerade in dieser Inszenierung von Frank Castorf natürlich ganz besonders der Fall. Es gibt immer etwas Neues, weil es so viel gibt – und auch so viele Freiheiten. Es gibt einen groben Plan, aber Frank lässt uns sehr viel Freiraum und begrüßt jede künstlerische Idee, die wir haben. Wenn man die Rolle zum ersten Mal spielt, sind das vielleicht nicht die besten Voraussetzungen, aber wenn man die Rolle kennt, dann macht es viel Spaß.

Die Castorf'sche Freiheit wird von vielen als Konzeptlosigkeit kritisiert. Können Sie diese Kritik verstehen?

Ryan: Ja, klar. Man will ja immer verstehen, und das wird in dieser schnellen und komplexen Welt einfach immer schwieriger. Und genau so ist es bei Castorf auch. Da gibt es nichts, was sich einfach problemlos aus sich heraus erklärt. Es ist nicht eine Geschichte, nicht eine Idee, nicht ein Konzept. Man muss sich immer fragen, was er meint. Es gibt viel Ironie, die aber nicht immer sofort als solche zu erkennen ist. Man muss nachdenken, überlegen und versuchen, zu verstehen. Ich finde, das ist eigentlich etwas, das die Realität ziemlich gut widerspiegelt.

Haben Sie das Gefühl, Sie haben einen Zugang gefunden und ungefähr verstanden, was Castorf da macht?

Ryan: Nee. Was er macht, da überlege ich schon lange und überlege auch immer noch. Aber was er will, das habe ich fast sofort verstanden. Er will reine Fantasie, und er gibt uns Umstände, Objekte, Requisiten, die im Text so nicht zu finden sind. Eine Kalaschnikow ist kein Schwert, aber ich muss sie wie ein Schwert behandeln. Und wenn es dann beim Schmieden des Schwertes zum Hämmern kommt, sagt Castorf zu mir: Jetzt nimm einfach ein Schwert. Ist doch klar, oder? Ja, ganz klar . . . Es ist so ein Witz, so viel Ironie, und es hat gedauert, bis ich dachte: Na ja, warum nicht.

Die Arbeit mit Kirill Petrenko dürfte das komplette Gegenteil sein.

Ryan: Total! Und das ist eine riesige Herausforderung. Petrenko ist ganz streng in seiner Meinung und weiß ganz genau, was er will. Man muss ihm völlig vertrauen und sich ihm gewissermaßen wirklich ausliefern. Das hat er mit Frank wiederum gemeinsam, dass man beiden sehr vertrauen muss. Aber Petrenko führt, Frank weist uns hin. Und er gibt uns jede Freiheit, die wir brauchen, die Bedingungen von Petrenko zu erfüllen. Wären beide so wie Petrenko – das wäre die Hölle, weil man als Sänger dann immer zwischen den Stühlen sitzt. Aber so hat es gut gepasst.

Sie haben mit allen großen Dirigenten unserer Zeit zusammen gearbeitet. Wie würden Sie Petrenko da einordnen? Ist es wirklich so besonders, wie er arbeitet?

Ryan: Es ist wirklich einzigartig an Petrenko, dass er so genau weiß, was er will. Aber dabei ist er nicht absolut. Er ist immer dabei, zu lernen und auch sich selbst zu hinterfragen. Er überlegt und sagt nicht mit einem Riesen-Ego: So ist es. Das ist sehr klug von ihm. Er ist unglaublich gut vorbereitet – und er kann es einfach. Und er weiß, dass er es kann. Aber er ist kein Tyrann. Er hat so eine Selbstsicherheit, dass er ein solches Verhalten nicht nötig hat. Er erklärt alles freundlich. Mit seiner Vorbereitung und seiner Menschlichkeit erobert er jeden.

Es gab Streit zwischen Frank Castorf und Katharina Wagner. Wie wirkt sich das auf das Team aus? Drückt das die Stimmung?

Ryan: Nee, eigentlich nicht. Wir haben viel gehört – schon klar. Aber sie sind klug hier und haben versucht, das alles von uns fernzuhalten, damit unsere Arbeit nicht beeinträchtigt wird. Eigentlich sind Frank und Frau Wagner immer unbeschwert und ganz witzig miteinander umgegangen. Was man jetzt hört, lässt darauf schließen, dass sie alles nun ein wenig ernster nehmen. Aber wir werden da rausgehalten. Und ich persönlich will mich da auch gar nicht einmischen. Mir ist das egal. Natürlich ist es schön, hier zu sein und mit tollen Kollegen zusammenzuarbeiten. Aber das hier ist nicht mein Freundesnetzwerk. Wir sind hier als Profis, um zu arbeiten, und wir haben alle unsere Leben. Man darf das alles nicht zu persönlich nehmen.

Gilt das auch, wenn sie von einigen Zuschauern ausgebuht werden wie im vergangenen Jahr hier in Bayreuth? Oder trifft Sie das doch?

Ryan: Natürlich trifft mich das. Es war aber seit 2012 klar: Dieser „Ring“ wird ausgebuht, total ausgebuht. Frank will provozieren, er will überhaupt kein leichtes, einfaches Bild. Und wir haben kein leichtes, einfaches Bild gemalt. Trotzdem ist es lästig und schwierig, ausgebuht zu werden – aber es gehört zur Arbeit. Wir sind die Instrumente von Frank und Kirill, und viele Leute verstehen das nicht, weil sie nicht wissen, wie es im Theater abläuft. Man muss es einfach hinter sich lassen. Weiter, immer weiter. Mir war es immer wichtig, dass meine Arbeit meinen Chefs gefällt, den Generalmusikdirektoren und Intendanten. Ich sage es ganz ehrlich: Ich singe nicht etwa in Bayreuth, weil die Gagen hier so hoch wären, sondern weil es eine Ehre ist. Man hat eine einzigartige künstlerische Gelegenheit. Ich bin nicht hier, um die Zustimmung des Publikums zu bekommen. Aber wenn es den Zuschauern nicht gefällt, tut es mir natürlich Leid. Ich will ja keine Probleme machen.

Ist das Bayreuther Publikum das schwierigste, vor dem Sie bislang gesungen haben?

Ryan: Oh, das weiß ich nicht. Aber ich habe noch nie ein Publikum erlebt mit so viel Hass, so viel Wut und so viel Rache. Die nehmen alles sehr persönlich. Es macht ein bisschen Angst, und es ist einfach schrecklich. Andererseits war ich auch 2010 hier, und da habe ich wiederum ein ganz tolles Publikum erlebt. Im Endeffekt gleicht sich das dann alles aus.

 
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