Mathias Tretter zuckt mit den Schultern und spielt den Gelangweilten. 2017? „Ich fand, es war wie's letzte Jahr“. Man wartet, dass etwas passiert. Und dann? Naja. „Spätestens zum Oktoberfest hab' ich genug. Ich mach das Jahr nur noch wegen des Rückblicks mit.“ Da steht Tretter am elftletzten Tag des Jahres im Würzburger Bockshorn und lässt sich erst einmal feixend über die Weihnachtsmärkte aus, die „Adventswiesn“, bei der man mangels Fahrgeschäften die alkoholischen Getränke erhitzt, um Achterbahn zu fahren. „Da braucht es keine Heizstrahler mehr, wenn das Sodbrennen auch die ganze Umgebung wärmt.“ Ja, und fast scheint es, als würde Tretter lieber den ganzen Abend über das Fressfest Weihnachten in Franken feixen. „Das einzige, was hier vegetarisch ist, ist der Baum.“
Aber er ist nun mal gerufen, um das 2017 nachzutrettern. So wie schon Django Asül zu Wochenbeginn und Urban Priol – im November bereits – im Bockshorn kabarettistische Nachrufe gehalten haben. Das Kalenderjahrende ist Hochsaison für Satiriker und unverdrossen politische Bühnenmenschen. Die Jahresschluss-Revue gehört zum guten, also bösen und bissigen Ton.
Und der Saal ist jedes Mal voll. Django Asül, der 45-jährige Hengersberger (nicht fragen, wo das ist, wer bayerisches Abi hat muss es wissen, sagt er), schaut zum siebten Mal für den Bayerischen Rundfunk in den „Rückspiegel“. Und hat festgestellt: „Das Anforderungsprofil seitens des Publikums ändert sich.“ Als er anfing, hätten die Zuschauer gesagt: Prima, danke für den Rückblick, wir hatten dieses Jahr gar keine Zeit, Nachrichten zu schauen. Irgendwann hätten sie gemeint: Danke, wir wollten dieses Jahr keine Nachrichten schauen, weil die immer so schlecht sind. Und jetzt sagten die Leute: Seit Sie den Rückblick machen, schauen wir bewusst keine Nachrichten mehr. Sind ja sowieso alles Fake News, wir trauen nur Ihnen, es reicht wenn Sie uns die Welt erklären.
Wie also erklären drei der besten Kabarettisten der Republik das was wahr? Django Asül ist sich noch unsicher: Ist 2017 eher das „Jahr der vergebenen Chancen“ oder doch „ein einziges großes Fragezeichen“? Erst einmal einen tiefen Schluck aus dem Weizenglas (schaumlos, weil Tee drin). Auch Urban Priol hat wie gewohnt ein volles Glas neben sich stehen – mit schönster Schaumkrone. Nur kommt der Aschaffenburger Komplexdenker und Schnellsprecher gar nicht dazu, daran auch nur zu nippen. Viel zu viel zu sagen, zu wüten, zu wettern, zu rätseln, zu lästern hat der 56-Jährige in den dicht gewobenen zweieinhalb Stunden.
„Dafür brauchen wir doch die Russen nicht. Dafür haben wir den Springerverlag, die Burda-Gruppe und Steffen Seibert.“: Urban Priol zu Wähler-Manipulation und dem Superwahljahr
Priol ist in Bestform. Vielleicht weil er nicht mehr beim ZDF Anstalts-Gastgeber und bildschirmdauerpräsent ist? Die Haare wirr, die Gedankengänge irr – aber der Durch-Blick aufs Jahr ist klar. Ausgeklügelt, tiefgründig, eine brillante Rückschau, die von Brexit über die Wiederkehr des „Blender Barons“, Luther-Jahr und die Österreich-Wahl nichts, aber auch gar nichts weltpolitisch ausließ.
Nicht mal die Nationalpark-Debatte im „Wildschwein-Puff“ Spessart. „Da haben sie jetzt Angst vor eingewanderten Tigern und Elefanten.“
2017 also. „Da passt nichts zusammen“, sagt Priol. „Da sind Dinge passiert, die kann man sich nicht ausdenken“, stellt der Pointenzünder den Ausführen als Hinweis voran. Damit keiner glauben möge, aller Irrsinn sei seiner kruden Fantasie entsprungen. „Italien kann kein Fußball mehr spielen, Deutschland findet keine Regierung, das war mal andersrum.“
Und für die Gags sorgt auch die Realität. Beispiel der Bundeswehroffizier, der bei seinen rechten Umtrieben vom Bundesamt für Migration als christlich-syrischer Flüchtling durchgewunken wurde. „Hätt' ich die Geschichte so erfunden, hätten alle gesagt, jetzt ist er reif für Lohr.“
Für Tretter erstaunlich: Dass dann doch im Jahreslauf immer genau so viel passiert, dass es für einen zweistündigen Rückblick reicht. Wobei 2017 ja schon nach neun Monaten endete: „Seit dem 24. September ist Stillstand.“ Und dann lässt sich der 45-jährige gebürtige Würzburger und Wahl-Leipziger aus über das Land, das von Untoten regiert wird. Er habe ja Angst vor der Merkeldämmerung gehabt, gesteht Tretter. „Weil sie die einzige Parodie ist, die ich kann.“ Dass die Frau, die man „nicht auf ihr Geschlecht maximieren“ dürfe, jetzt geschäftsführende Bundeskanzlerin ist – das sei mehr als sie in den vergangenen acht Jahren geleistet habe. Und die SPD? „Martin Schulz will Bundeskanzlerin werden, was soll das?“ Dass Schulz „mal für Euphorie gesorgt hat, kann man sich ein Dreivierteljahr später gar nicht mehr vorstellen“.
Mathias Tretter plädiert für eine Rumänien-Koalition aus Rot, Gelb, Blau. Die SPD, die FDP, die während des Nichtregierns seit 2013 „ihre besten Jahre“ hatte, und die AfD wollten schließlich alle das Gleiche: „Nicht regieren.“
Apropos Schulz. Für Django Asül ist er „der Absturz des Jahres“. Gestartet mit 100 Prozent. „Und jetzt gibt es selbst Genossen, die nennen ihn nur noch Dieselfahrer.“ Er habe ja „schon vor der Wahl gewusst, Deutschland ist noch nicht reif für eine männliche Bundeskanzlerin.“
Schluck aus dem Weizenbierteemithonigglas, und schon hüpft Django Asül weiter. Überhaupt ist er derjenige der Drei, der weniger nach den ganz großen Linien und tiefsten Untiefen sucht, sondern längst vergessene Nachrichten der vergangenen Monate noch mal reflektiert. Oder erinnert sich noch jemand an die Veganerin von Limburg, die gegen das Glockenspiel „Fuchs, Du hast die Gans gestohlen“ intervenierte? Und wer denkt noch dran, dass die Umweltministerin für eine Kampagne für ökologische Landwirtschaft eigenen Bauernregeln ersann? „Höhepunkte der Agrarlyrik“, sagt Django Asül und erinnert daran, dass es deshalb mächtig Zoff mit dem Bundeslandwirtschaftsminister gab. Aber der Schmidt habe es der Hendricks neulich ja heimgezahlt. Siehe Alleingang in Brüssel, siehe Glyphosat. „Das gehört doch in jede gute Hausapotheke.“
„Ein CSU-Reflex. Jetzt hau' mer mal einen Ausländer raus, das hebt die Stimmung.“: Django Asül zur Trennung des FCB von Carlo Ancelotti
Bei Django Asül schafft es Lukas Podolski in den Jahresrückblick, weil von den Breitbart-News zum Flüchtling auf dem Jet-Ski erkoren. Und sogar der Eurovision Song Contest, weil da Deutschland in diesem Jahr nicht letzter wurde, sondern „auf den vorletzten Platz nach oben katapultiert“. Freilich durch eine Sängerin, „an deren Namen sich niemand mehr erinnert mit einem Song, an den sich niemand mehr erinnern will.“ Und nicht mehr der „Spiegel“, sondern die „Brigitte“ ist seit diesem Jahr das Nachrichtenmagazin Nummer eins. Weil sie durch ein Interview mit der Frau, die Urban Priol „Lady Pattex“ nennt und die „in ihrem grauen Wams der älteren Schwester von Kim Jong Un gleicht“, die politische Revolution des Jahres anstieß: Ehe für alle. Seither habe sogar Donald Trump die „Brigitte“ abonniert, sagt der Niederbayer. „Aber zugegeben mehr wegen den Frisörtipps.“
„Hat der Tretter den Trump vergessen“, fragt dann drei Tage später an selber Stelle Mathias Tretter. „Ja natürlich! Was soll ich über Trump erzählen, ich bin selber Komiker. Da rede ich doch nicht über die Konkurrenz.“ Die Frage, wer dieses Jahr „der globale Dorfdepp“ war, sei auch sinnlos. „Seit der Wahl Trumps geht's nur noch um den Vize.“ Für den Komiker, der von den Dreien bestimmt der unverschämt lockerste, vielleicht böseste ist, ist die Antwort klar: Erdogan. Und apropos Homo-Ehe. Die werde jetzt ja in Bayern praktiziert – „mit zwei Landesvätern“.
Und schon sind auch bei Tretter zwei Stunden vorbei. Und es passt gerade noch ein Satz zu Harvey Weinstein in das Nachtrettern. Das eigentliche Problem der sexuellen Belästigung sei ja, „man wird nie von dem angefingert, von dem man sich das wünscht. Wie oft habe ich mich schon als Opfer angeboten.“
„Der bleibt so lange Ministerpräsident, bis der Berliner Flughafen eröffnet ist.“: Mathias Tretters Prognose über Markus Söder
Großer Applaus! Nicht für ein Jahr, das zum Vergessen war. Sondern für die Welterklärer. Die Zugabe? „Die gibt's bei Jahresrückblicken immer erst im nächsten Jahr“, sagt Tretter. Urban Priol ist sich derweil sicher: „2018 wird so bescheuert wie es 2017 war.“
Wiederholungen auf dem Bildschirm und auf der Bühne:
- Django Asüls „Rückspiegel 2017“ ist am Dienstagabend im Würzburger Bockshorn vom BR aufgezeichnet worden. Ausstrahlung ist nächsten Donnerstag, 28. Dezember, 20.15 bis 21.45 Uhr.
- Auch Urban Priols „Tilt – Tschüssikowski 2017“ ist noch mal im Fernsehen zu sehen: In einer 90-Minuten-Fassung am Samstag, 30. Dezember, ab 20.15 Uhr auf 3Sat. Am 10. Januar kann man Priol noch mal auf der Bühne erleben: um 20 Uhr in den Mainfrankensälen Veitshöchheim.
- Und Mathias Tretter spielt am 26. und 27. Dezember in der Disharmonie Schweinfurt – leider schon ausverkauft. Am Freitag, 29. Dezember, gibt's „NachgeTrettert“ dann noch mal in der Alten Turnhalle in Lohr, Beginn um 20 Uhr.