Der Zweite Weltkrieg hatte auch auf die Kunst dramatische Auswirkungen, das ist unbestritten. Trotzdem war das Jahr 1945 kein absoluter Nullpunkt, nach dem alles ganz anders verlief als vor der Katastrophe. Die Abstraktion, die Suche nach einer neuen Malerei, hatte sich schon viel früher nicht nur angedeutet, sondern wurde auch praktiziert. Das lässt sich gut in der Kunsthalle Schweinfurt nachvollziehen – vor allem seit der Neuhängung der Städtischen Sammlung vor einigen Monaten. Die „Wegmarken“ im Erdgeschoss, wie die neue Präsentation überschrieben ist, knüpfen direkt an die Sammlung Joseph Hierling an, die im Untergeschoss lange nicht anerkannte Maler „zwischen den Weltkriegen“ zeigt.
Ein Verbindungsglied im ersten Raum ist Albert Birkles kleines, aber sehr präsentes Gemälde „Überlingen“ von 1930. Trotz der kräftigen Farben hat er aus der Uferpromenade einen Geisterort gemacht. Birkle war mit Wilhelm Kohlhoff befreundet, den es nach dem Krieg nach Schweinfurt verschlagen hatte. Dessen sitzender weiblicher Akt von 1920, der mehr verhüllt als zeigt, hängt neben Birkle. Die neue Hängung fünf Jahre nach der Eröffnung der Kunsthalle macht viele solcher Beziehungen deutlich.
Schwerpunkt ist das deutsche Informel
Auch der 1902 geborene Heinrich Kirchner entwickelte schon in den 1930er-Jahren ein reduziertes Menschenbild, an dem er – von den Nazis relativ unbehelligt – festhielt. Seine Bronze „Guter Hirte“ von 1953 empfängt die Besucher im Westflügel. Fast rührend, wie die kleine Figur ein Schäfchen auf den dünnen Armen hält. Das „Paar“ von Fritz König berührt trotz oder vielleicht wegen seiner abstrahierten Form mit großer Innigkeit. Der 1924 in Würzburg geborene König wurde vor allem durch seine Kugelskulptur vor dem World Trade Center berühmt, die nach dem 9. November 2001 aus den Trümmern geborgen wurde und heute im Battery Park im Süden von New York steht – als Symbol für das Weiterleben in der Stadt nach der Katastrophe.
Schwerpunkt im Westflügel ist das deutsche Informel, das auch Schwerpunkt der Sammlung ist. Unter dem Begriff Informel sind die verschiedenen abstrakten Stile zusammengefasst, die sich nach 1945 entwickelten. Die Kuratoren Erich Schneider und Andrea Brandl zeigen zwei Wege, die Künstler nach 1945 einschlugen: Einer führte in die Abstraktion, der andere in die Figuration.
Als „Väter der Abstraktion“ gelten Max Ackermann, Fritz Winter und Willi Baumeister. Von Ackermann und Winter hatte das Haus bereits Arbeiten, aber ein Baumeister fehlte, einer jener Maler, 1899 geboren, der eine enorme Wirkung auf nachfolgende Künstlergenerationen hatte. „Ein Ankauf war undenkbar“, sagt Andrea Brandl, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kunsthalle. Es gibt nur noch wenige Gemälde auf dem Markt, und die sind mit mindestens einer halben Million Euro unbezahlbar für ein Haus, das keinen nennenswerten Ankaufsetat hat.
Also nutzte sie die guten Beziehungen, die sie zur Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik aufgebaut hat, und durfte sich von Baumeister das Gemälde „Wimpelstrand“ von 1949 aussuchen, das nun als Dauerleihgabe neben Ackermann und Winter hängt. Weil der Holzrahmen um den „Wimpelstrand“ doch sehr schlicht ist, darf die Kunsthalle einen angemessenen Rahmen anfertigen lassen.
Ohne diese guten Beziehungen zu Sammlern, Künstlern und Gönnern hätten die Museen und Galerien ihre Sammlung nie auf dieses Niveau bringen, geschweige denn weiterentwickeln können. Wer aufmerksam durch die Neuhängung geht, entdeckt an vielen Arbeiten den Verweis auf einen Leihgeber, edlen Spender oder eine Institution, mit deren Hilfe das Kunstwerk erworben wurde. Das funktioniert aber nur, wenn die guten Beziehungen zu den Gebern gepflegt werden und wenn jene punktgenau schenken, also mit Blick auf die kunsthistorische Konzeption.
Lag der Schwerpunkt der Sammlung in den Anfangsjahren noch auf der regionalen Szene, später auf dem süddeutschen Raum, geht der Blick der Kuratoren seit dem Umzug in die Kunsthalle noch ein Stück weiter: zum einen gen Osten, auf Künstler der ehemaligen DDR wie Michael Morgner und Hartwig Ebersbach, die gegen die politischen Bedingungen aufbegehrt hatten, und zum zweiten auf die großen Namen des deutschen Informel.
Zu ihnen zählen Karl Otto Goetz, Otto Kreis, Heinz Kreuz und Bernhard Schultze, die 1952 die Künstlergruppe Quadriga gründeten, eine der ersten avantgardistischen Gruppen im Nachkriegsdeutschland. Greis und Kreutz waren bereits in der Sammlung vertreten, von K.O. Götz gab die Sammlung der Bundesrepublik ein frühes Gemälde nach Schweinfurt. Der 1914 Geborene war das einzige deutsche Mitglied der internationalen Künstlergruppe CoBrA und unterrichtete als Professor an der Düsseldorfer Akademie Künstler wie Sigmar Polke und Gerhard Richter. Früh entwickelte er seine ganz spezielle Technik, Farbe mit großen, selbst gebauten Rakeln in einem furiosen Schwung auf der Leinwand zu verteilen. Ein solches Bild hängt nun in Schweinfurt, mit einem wilden Farbraum von Fred Thieler als Gegenüber. Zwei ebenso unterschiedliche wie hervorragende Beispiele für eine expressive Malweise.
Auch eine dritte Leihgabe aus der Sammlung der Bundesrepublik sei unbedingt erwähnt: eine Gouache von Emil Schumacher (1912-1999), eine wunderbar leichte, fast fernöstlich anmutende Komposition von 1982. Schumacher gehörte zu den Künstlern, die während der Zeit des Nationalsozialismus zur Untätigkeit gezwungen waren und sich nach 1945 der Abstraktion zuwandten. Unter dem Stichwort „Künstlerisches Aufbegehren und neue Figuration“ richten die Kuratoren einen Blick auf weitere Künstlergruppen der Nachkriegszeit. Die 1958 gegründete Münchner Gruppe „SPUR“, die sich intensiv mit gesellschaftspolitischen Fragen auseinandergesetzt hat, ist dank einer Leihgabe der Bundesrepublik nun komplett vertreten: Von Erwin Eisch, Lothar Fischer, Helmut Sturm und HP Zimmer gab es schon spannende Arbeiten, nun zieht eine wilde Komposition von Heimrad Prem alle Augen in einem der Kabinette auf sich.
Im Nordflügel greift die Ausstellung die Frage „Alles ist Kunst?“ auf, in Anspielung an die Diskussion um den erweiterten Bildbegriff in den 1970er-Jahren. Ein Publikumsliebling ist der Nachbau des Ateliers von Viktor Kraus. An der Stelle, an der normalerweise seine Leinwand hängen würde, läuft ein Film seines Sohnes, der den Vater beim Malen jenes Bildes zeigt, das daneben an der Wand lehnt.
Das Rasenstück von herman de vries, das „echte“ Gräser zeigt, aber seinen Bezug zur Kunstgeschichte nicht verleugnet, erfährt noch mehr Aufmerksamkeit, seit der niederländische Künstler, der im Steigerwald lebt, zur Biennale in Venedig 2015 berufen wurde.
Zwischen West- und Nordflügel liegt ein sehr schöner Raum, die Galerie im Quadrat, die für kleinere temporäre Ausstellungen genutzt wird. Kürzlich waren dort „erdausreibungen“ von de vries zu sehen. Derzeit zeigt Heinz Altschäffel, der Schweinfurter Altmeister, aktuelle Gemälde.
Kunsthalle Schweinfurt: Rüfferstraße 4, Geöffnet Di bis So, 10 bis 17 Uhr, Do 10 bis 21 Uhr.