Eine unsichtbare Choreografie liegt über dem Hin-und-her-Gewoge der Massen. Genau besehen löst es sich in eine Vielzahl von Schicksalen auf.“ Mit diesem Kommentar zu seinem 1978 gemalten Triptychon gibt der Rhöner Künstler Robert Höfling eher Rätsel auf, als dass er sie löst. Höfling kam 1919 im Städtchen Hammelburg zur Welt, das er – mit wenigen Ausnahmen – Zeit seines Lebens kaum verließ. Sein Geist aber war frei und wild, orientiert an Künstlern wie Joseph Beuys und Hermann Nitsch.
Höflings Karriere als Maler begann erst, als er 52 Jahre alt war. Er lebte im kreativen Chaos einer Schreinerei, schuf provokativ-humorvolle Arbeiten mit religiösem Kontext, Kirchenfenster und Altäre, Brunnen und Bilder für Schulen, Karikaturen, Cartoons und Porträts. Viele seiner Werke des Künstlers sind großformatig, laut und bunt, darunter ein „Großer Streichholzaltar“ aus 4000 Streichholzschachteln, bemalten Kartoffeln und Kunststoffkreuzen.
„Eine von den Schönen“
Auch sein Triptychon in Öl auf Sperrholz hat enorme Ausmaße, beschränkt sich aber auf die Farbtöne Grau, Weiß und Schwarz. Das verleiht dem Gemälde eine verblichene Farbwirkung, die an alte Kriegsfotografien schlimmsten Inhalts erinnert. Mit dem dreiteiligen, rund zwei mal vier Meter großen Werk gibt Höfling ein komplexes, politisches Statement ab.
Über tatsächliche und mögliche Hintergründe des Werks, das – aufgrund seiner Größe – bislang im Depot der Museen der Stadt Aschaffenburg lagerte und mit der Aktion „Kunst geht fremd“ leihweise in die Kunsthalle Schweinfurt wanderte, berichtet Andrea Brandl, Leiterin der Museen und Galerien der Stadt Schweinfurt. In der Broschüre zur Tauschaktion ist zwar nur der rechte Flügel des Dreiteilers abgedruckt, der jedoch eine Schlüsselfigur präsentiert: den Schriftsteller Heinrich Böll, wie er gramvoll zu einer jungen Frau aufschaut, die dem Tumult im Hintergrund die kalte Schulter zeigt. Höfling nannte sie nur „eine von den Schönen“.
Rätsel um Petra Kelly?
Im Hinblick auf diese „Schöne“ lässt Brandl den Namen Petra Kelly fallen, ohne sich jedoch darauf festzulegen. Eine entfernte Ähnlichkeit zur einstigen Grünen-Politikerin, mit der Böll 1983 im Zuge der Nato-Nachrüstung die Zufahrtswege einer Raketenstellung blockierte, ist sicher auszumachen. Mehr aber auch nicht.
In der Adenauer-Ära stellte sich Böll dem restaurativen Zeitgeist entgegen und unterstützte – als sozial engagierter Vordenker der deutschen Intellektuellen – die Friedensbewegung der 70er Jahre. Von konservativen Kreisen wurde er als Terrorhelfer gebrandmarkt und musste massive Polizeimaßnahmen erdulden. Ein Jahr nach der Entstehung von Höflings Triptychon trat Böll demonstrativ aus der katholischen Kirche aus, ohne jedoch „vom Glauben abzufallen“. Brandl empfiehlt allerdings, sich bei der Betrachtung des Bildes nicht zu sehr an Heinrich Böll festzuhalten: „Es geht weit darüber hinaus.“
Auch Höfling hatte seine Probleme mit der katholischen Kirche, wobei nicht klar wird, worauf diese gründeten – wie Höfling überhaupt wenig über seine Person mitteilte. Umwogt von einer diffusen Menschenmenge, predigt links oben auf dem mittleren Bildflügel ein Priester in weißem Gewand. Dieses Anziehen der Massen durch Vertreter der katholischen Kirche habe Höfling als Künstler immer wieder umgetrieben, so Andrea Brandl. Auch die Prozession sei ein beliebtes Thema in seinem Schaffen gewesen. Durch äußere Ablenkungen zerstreuten sich diese Massen oft plötzlich in alle Richtungen, um ungeordnet bis panisch davonzustürmen – wie auf diesem zutiefst beunruhigenden Werk.
Massaker einer Sekte
Manche Menschen drängen noch in Richtung des Priesters, andere rennen bereits kopflos davon, mit erhobenen Armen oder nackt, sie straucheln und stürzen übereinander, einer kugelt mit entblößtem Hinterteil auf dem Boden herum. Sie schreien, blecken die Zunge oder kauern verstört auf der Erde – ein Wimmelbild des Schreckens.
Es ist wohl kein Zufall, dass Höfling das Bild in jenem Jahr malte, als sich ein beispielloses Suizid-Massaker im südamerikanischen Dschungel abspielte: Über 900 Mitglieder der amerikanischen Volkstemplersekte töteten sich in der hermetisch abgeriegelten Siedlung Jonestown gemeinsam durch einen Giftcocktail. Im Bann verschiedener Sekten folgten in den 80er Jahren ähnliche Massensuizide rund um den Globus.
Zukunftsorientiert und voller Pläne starb Robert Höfling 1997 auf Lanzarote. Im Depot der Kunsthalle lagert ein weiteres Ölbild von ihm, eine bedrohlich-makabre Schlachtenszene in Farbe: Unter blutroten Wolken rückt eine Reihe schwarzer Gestalten mit hoch aufragenden Bischofsmützen voran, am Horizont zeichnet sich eine Reihe Gekreuzigter oder Gehängter ab.
Die Aktion Kunst geht fremd
Zum siebten Mal tauschen unterfränkische Museen – in diesem Jahr sind es 14 – Ausstellungsstücke. Jeweils ein Objekt wird bis
5. November in ein anderes Haus ausgeliehen und präsentiert sich in fremdem Umfeld, fügt sich in eine andere Ausstellungskomposition ein – oder irritiert ganz bewusst. Wir stellen in unserer Serie ausgewählte Stücke und Museen der diesjährigen Aktion vor.
Öffnungszeiten der Kunsthalle Schweinfurt im ehemaligen Ernst-Sachs-Bad (Rüfferstraße 4): Dienstag bis Sonntag 10–17, Donnerstag bis 21 Uhr. An jedem ersten Donnerstag im Monat ist der Eintritt frei.