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Aschach/Würzburg
Kunst geht fremd: Schuhe zum wenig Laufen
Kunst geht fremd: Auch 2015 wieder leihen unterfränkische Museen Kunstgegenstände an andere Häuser in der Region aus. Wir stellen die zehn „Seitensprünge“ vor. Heute: Würzburger Schuhe für Schloss Aschach.
Leihweise in Aschach: Ein goldenes und ein schwarzes Paar Damenschuhe vom Ende des 19. Jahrhunderts.
Foto: Susanne Wortmann/Mainfränkisches Museum | Leihweise in Aschach: Ein goldenes und ein schwarzes Paar Damenschuhe vom Ende des 19. Jahrhunderts.
Martina Häring
 |  aktualisiert: 26.04.2023 23:59 Uhr

Schuhe, die nicht passen, sind eine Tortur. Umso angenehmer ist es, wenn ein Schuh passt wie eine zweite Haut. Darüber, ob die zwei Paar Schuhe, die im Rahmen der Aktion „Kunst geht fremd“ von Würzburg ins Schloss Aschach gereist sind, ihrer Trägerin gut gepasst haben, lässt sich zwar nur spekulieren. Besonders bequem dürften sie aber nicht gewesen sein. „Vermutlich waren sie aber nicht dafür gedacht, viel darin zu laufen“, sagt Dr. Claudia Lichte vom Mainfränkischen Museum. Sie hat für die Kunsttauschaktion, bei der sich in diesem Jahr alles ums Thema Haut dreht, ein goldenes und ein schwarzes Paar Damenschuhe vom Ende des 19. Jahrhunderts ausgewählt, die derzeit im Museum Schloss Aschach zu sehen sind.

Heute ist es fast schon eine Selbstverständlichkeit: Männer tragen in erster Linie praktische Schuhe, bei Frauen darf‘s gerne auch mal extravagant, unpraktisch und unbequem sein. Doch das war nicht immer so. Im Barock etwa hatten eher die Männer modische Schuhe, weil die unter den Kniebundhosen sehr gut zu sehen waren. Frauen dagegen trugen Reifröcke. Welche Schuhe man darunter trug, war ziemlich egal, weil sie sowieso niemand zu sehen bekam.

Erst um 1870, als die Röcke kürzer wurden, änderte sich das. Die Schnallenschuhe, die im Barock die Männer anhatten, kamen nun bei den Frauen in Mode. Und als die Hosenbeine der Männer länger wurden, begannen sie, einfache Schnürschuhe zu tragen.

Nicht nur die geschlechterspezifische Schuhmode wandelte sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Um 1860 sank auch der Preis für gutes Schuhwerk, das nun erstmals industriell gefertigt wurde. Aus einer frühen Schuhfabrik stammen auch die beiden Schuhpaare aus dem Mainfränkischen Museum: ein schwarzes Paar, das wohl eher für den Alltag bestimmt war, und ein goldenes für besondere Anlässe. „Henry Weiß St. Petersbourg“ steht in den schwarzen Schuhen. Sie haben die für die Zeit typischen Absätze in der Form eines kleinen Trichters. „Auf den ersten Blick denkt man an Spätbarock“, sagt Lichte. „Tatsächlich sind sie aber dem dritten Rokoko zuzuordnen.“ Und tatsächlich kann man ganz ähnliche Schuhe an den Tietz-Figuren im Gartensaal des Mainfränkischen Museums finden.

Die Schuhe aus dem Mainfränkischen Museum kamen zwar von der Stange und wurden nicht mehr maßangefertigt. „Eine maschinelle Fertigung war das aber nicht“, stellt Lichte klar. Die Schuhe wurden immer noch in Handarbeit hergestellt, allerdings mit vorgefertigten Leisten und in vorgegebenen Konfektionsgrößen. Damit sanken auch die Schuhpreise. So exklusive Modelle wie die beiden, die jetzt besichtigt werden können, waren dennoch nur für die besseren Kreise erschwinglich.

Eine weitere Neuerung dieser Zeit war die Rechts-Links-Unterscheidung bei den Schuhen. Zwar hatte man schon in der Antike und im Mittelalter ganz selbstverständlich rechte und linke Schuhe unterschieden. Im 17. Jahrhundert jedoch bekamen rechter und linker Schuh – aus unbekannten Gründen – identische Formen. Schon im 18. Jahrhundert wiesen Ärzte auf die gesundheitlichen Folgen hin, blieben aber ungehört. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts besann man sich aufgrund von Erfahrungen des amerikanischen Militärs zurück auf die an die anatomische Form der Füße angepasste Rechts-Links-Unterscheidung. Woher die beiden Schuhpaare genau stammen, weiß auch Claudia Lichte nicht. „Wir haben keine kostümkundliche Abteilung“, so Lichte.

Trotzdem hat sich eher zufällig eine kleine Sammlung historischer Schuhe im Depot des Museums zusammengefunden, die überwiegend aus dem Ende des 19. und dem Anfang des 20. Jahrhunderts stammen. Die Geschichte der Rechts-Links-Unterscheidung lässt sich an den 19 Schuhpaaren gut ablesen. Aber über die Herkunft der einzelnen Schuhe ist nichts bekannt: „Im Krieg sind alle schriftlichen Nachweise verbrannt, daher haben viele Objekte keine Geschichte mehr, und man muss erst viel recherchieren.“

Für Lichte besteht gerade darin der Sinn von „Kunst geht fremd“: „In unserem Haus wären die Schuhe schwer in der Ausstellung zu verankern.“ Auf Schloss Aschach dagegen, wo sich alles um das gesellschaftliche Leben der Grafen von Luxburg dreht, passen die Schuhe hervorragend. „Für uns ist die Aktion ein ungeheurer Zugewinn“, schwärmt Lichte, „und für die Besucher hoffentlich auch.“

Im Graf-Luxburg-Museum im Schloss Aschach stehen die Schuhe neben einigen Porzellanfigürchen, die zum Teil ganz ähnliche Schuhe tragen. Zwar sind im Schloss – wo viele Räume der Grafenfamilie von Luxburg in originaler Ausstattung erhalten sind – auch einige Textilien aus der Zeit um 1900 zu sehen, die perfekt zu den Schuhen passen. Und es ist gut vorstellbar, dass Gräfin Louise von Luxburg ganz ähnliche Schuhe zu gewissen Anlässen getragen hat.

In dem Raum, in dem Kleider, Accessoires und zwei Modeblätter samt Stoffproben, die Graf Luxburg von der Weltausstellung 1867 in Paris mitgebracht hat, präsentiert sind, wollte Museumsleiterin Annette Späth die Schuhe trotzdem nicht ausstellen. Denn dort würden sie sich so gut in die Ausstellung einfügen, dass sie vermutlich gar nicht weiter auffallen würden. Und das passt wiederum so gar nicht zum Konzept von „Kunst geht fremd“. Schließlich sollen die Tauschobjekte ja aus dem Rahmen fallen und irritieren.

Schloss Aschach

Das Graf-von-Luxburg-Museum im Schloss Aschach zeigt die Wohnräume der Grafen von Luxburg mitsamt ihrer originalen, mit reichlich Kunst und Kunsthandwerk ausgestatteten Einrichtung, darunter auch die Sammlungen der Grafen: Gemälde, Skulpturen, Augsburger Silber, Porzellan, Möbel sowie eine bedeutende Sammlung ostasiatischer Kunst. Auf dem Gelände gibt es noch ein Volkskunde- und ein Schulmuseum. Museen Schloss Aschach, Schlossstraße 24, Bad Bocklet/Aschach, Tel. (0 97 08) 61 2: Öffnungszeiten Graf-von-Luxburg-Museum: 1. April bis 31. Oktober, Di-Sa. Einlass jeweils mit geführtem Rundgang um 14, 15, 16 Uhr, Sonn- und Feiertage 11-17 Uhr; www.museen-schloss-aschach.de

 
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