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WÜRZBURG/MILTENBERG
Kunst geht fremd: Satire im Frisiersalon
Kunst geht fremd . . . und macht schön, Folge 9: Eine kleine Plastik macht sich über seltsame Perücken lustig. Das war Ende des 18. Jahrhunderts. Lächerliche Modetrends sind also kein Privileg unserer Zeit . . .
Der Haarkünstler braucht eine Leiter, um die turmhohe Perücke zu richten.
Foto: Andreas Bestle, CTW Würzburg | Der Haarkünstler braucht eine Leiter, um die turmhohe Perücke zu richten.
Katja Tschirwitz
 |  aktualisiert: 27.04.2023 02:31 Uhr

Vielleicht würde sich manch einer mit Grausen von der kitschig-bunten Steingutszene abwenden, wäre da nicht die verbale Hilfestellung auf den türkisgrünen Infotafeln der Kunsttauschaktion „Kunst geht fremd . . . und macht schön“. Der alljährliche Kunsttausch in der Region Unterfranken hat die ausgefallene Keramik bis 6. November vom Mainfränkischen Museum Würzburg ins Museum der Stadt Miltenberg entführt, die zugehörigen Texttafeln bescheinigen dem Objekt eine gehörige Portion Ironie.

Also gut: Wo sich ein Witz versteckt, schaut man doch gern ein zweites Mal hin. Tatsächlich liefert die so possierlich anmutende Figurengruppe eine Satire auf die Perückenmode des ausgehenden 18. Jahrhunderts, indem sie das übertriebene Streben nach dem damaligen Schönheitsideal ironisiert: Ein Friseur bringt die Hochsteckperücke seiner Kundin von einer Leiter aus in Form, und die Gekämmte betrachtet sich dabei im Spiegel, während ein schwarz gewandeter Geistlicher gestikulierend auf beide Personen einredet. Ein Zaungast verfolgt die haarige Verwandlung unter neugierigen Verrenkungen – aus nächster Nähe durchs Fernrohr. Wenn das nicht lustig ist!

Der grinsende Harlekin

Erst auf den zweiten Blick nimmt man den bunt gekleideten Harlekin hinter der Leiter wahr, der grinsend und mit ausladender Geste auf das Geschehen weist und es so der Lächerlichkeit preisgibt. Sein Pferdeschwanz steht steil gen Himmel, sein Zeigefinger hingegen ist bereits dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen und abgebrochen. (Auf dem Bild in der „Kunst geht fremd“-Broschüre ist der Spaßmacher nur zu erahnen.)

Entworfen wurde die 40 Zentimeter breite und 32 Zentimeter hohe Gruppe um 1780 für die Porzellanmanufaktur Höchst bei Frankfurt, vermutlich von dem Modelleur Carl Ries. Als die Manufaktur ihren Betrieb 1796 einstellte, übernahm die Steingutfabrik Damm bei Aschaffenburg aus der Konkursmasse Formen für rund 400 Figuren, um sie in Steingut zu realisieren und dem veränderten Zeitgeschmack entsprechend zu bemalen. Nach einer jahrzehntelangen Blütezeit wurden sowohl die Fabrik wie auch die Höchster Figuren- und Gruppenformen zwangsversteigert. Im Mainfränkischen Museum Würzburg haben sich viele Dammer Figuren erhalten, darunter die um das Jahr 1880 ausgeformte Frisierstube.

Reizvolle Schauräume

In Miltenberg steht die Dammer Keramik nun im ersten Stock des Stadtmuseums, das – zu Hause in historischen Fachwerkgebäuden mit reich verzierten Renaissance-Erkern – Miltenberger Regionalgeschichte heute beleuchtet. Die geschichtsträchtigen, reizvoll verwinkelten Räume am Schnatterloch (so heißt der Miltenberger Marktplatz) halten also auch jenseits der Ausstellungsstücke viel Anregendes bereit. Seit 2010 wird zwischen Museum und Stadtmauer sogar ein bürgerlicher Renaissancegarten angelegt, der allerdings nur mit Führung zugänglich ist.

In einem hellen Raum mit Stuckdecke und knarrenden Holzdielen genießt die Frisierstube aus Würzburg nun die Gesellschaft eines eleganten Tafelklaviers aus Nussbaum, Ebenholz und Elfenbein, eines gelben Kachelofens von 1900, einer alten Holztruhe mit Eisenbeschlägen sowie zahlreicher Porträt- und Landschaftsbilder des Miltenberger Malers Philipp Wirth, der von 1808 bis 1878 in seiner Heimatstadt wirkte. Ein Leporello hinter der geräumigen „Kunst geht fremd“-Vitrine versucht zu verhindern, dass der herrliche Blick auf die Gartenterrassen unterhalb der Burg zu stark von der ausgestellten Keramik ablenkt.

Museumsleiter Hermann Neubert scheint sich der Tatsache bewusst zu sein, dass das einmalige Miltenberger Stadtbild die Museumsstücke sowohl ergänzt als auch mit ihnen konkurriert. Der freie Blick auf den roten Sandsteinturm der Jakobskirche am Marktplatz ist auf jeden Fall der Rede wert.

Ansonsten zeigt das Miltenberger Stadtmuseum Gegenstände aus Mainfischerei und -schifffahrt, aus Jagdwesen und Militärmusik, Waffen, altes Spiel- und Küchenzeug. Schere und Schmucknadeln weisen darauf hin, dass auch die Damen im ehemaligen Kastelldorf Miltenberg Wert auf eine gut sitzende Frisur legten. Die religiöse Abteilung im Obergeschoss präsentiert einen der museumseigenen Höhepunkte, den sandsteinernen Thoragiebel aus der ältesten noch erhaltenen Synagoge Deutschlands, daneben vier holzgeschnitzte Evangelisten, zwei leuchtend bunte Kirchenfenster aus dem 17. Jahrhundert sowie etliche Hinterglasbilder und Nonnenspiegel, von denen einer gerade im Würzburger Museum im Kulturspeicher „fremdgeht“. Das Museum steht unter Denkmalschutz und ist für Gehbehinderte nur in Teilen zugänglich. Einen Aufzug gibt es nicht, die Stiegen sind oft schmal und schon für Kerngesunde eine gymnastische Herausforderung.

Auf der malerisch am Hang gelegenen Mildenburg befindet sich jedoch ein weiteres Museum, das Ikonen und moderne Kunst beherbergt, auch schon bei „Kunst geht fremd“ dabei war und wohl wieder dabei sein wird. Hier gibt es sowohl einen Aufzug als auch kurzzeitige Haltemöglichkeiten für Pkw. Wer keine Lust hat mit dem Auto nach Miltenberg zu fahren, nutzt von Würzburg aus einfach die Bus-Direktverbindung oder die Bahn – in diesem Fall muss man in Aschaffenburg umsteigen.

Kunst geht fremd . . . und macht schön

Zwölf Museen beteiligen sich dieses Jahr an den künstlerischen Seitensprüngen, die bis 6. November ausgewählte Objekte kreuz und quer durch Unterfranken reisen lassen. Unter dem Motto „Kunst geht fremd … und macht schön“ verlassen zwölf Kunstwerke ihr angestammtes Museum, um sich ein neues, temporäres Zuhause zu suchen. In ungewohnter Umgebung sollen sie ihre Betrachter für ein paar Monate irritieren, provozieren und zu intensiverem Sehen anregen. Wir stellen jedes der zwölf Kunstwerke vor.

Eine Broschüre führt durch die diesjährigen Seitensprünge, angenehm schmal und dünn und somit geeignet für jede Hand- und Jackentasche. Auf den letzten Seiten findet sich eine Liste aller Museen mit Öffnungszeiten, Adressen und Telefonnummern, begleitenden Veranstaltungen und eine Karte mit allen teilnehmenden Ortschaften. Homepage: www.kunst-geht-fremd.de

Die Museen der Stadt Miltenberg zeigen die Regionalgeschichte von den Römern bis heute in drei historischen Fachwerkgebäuden in der Innenstadt. Tel. (09 93 71) 66 85 04. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10-17.30 Uhr, ab 2. November Mittwoch bis Sonntag 11-16 Uhr. Internet: www.museen-miltenberg.de

Moderne Kunst und alte Ikonen sind hoch über der Stadt, im Museum auf der Mildenburg zu sehen. Wechselausstellungen zu Künstlern und Kulturgeschichte.

 
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