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Kunst geht fremd: Die Schweinfurter Spott-Tapete
Kunst geht fremd: Seit vier Jahren leihen unterfränkische Museen Kunstgegenstände an andere Häuser der Region aus. Wir stellen die acht „Seitensprünge“ 2014 vor. Heute: Schweinfurter Spott-Tapete in Wechterswinkel.
Die Schweinfurter Spott-Tapete: Der Junge mit dem Papierhut ist wohl König Ludwig I., das Mädchen neben ihm zeigt Lola Montez.
Foto: Museum Altes Gymnasium Schweinfurt | Die Schweinfurter Spott-Tapete: Der Junge mit dem Papierhut ist wohl König Ludwig I., das Mädchen neben ihm zeigt Lola Montez.
reda
 |  aktualisiert: 26.04.2023 22:04 Uhr

Kunst geht fremd – unter diesem Motto schicken Museen seit vier Jahren Kunstgegenstände auf Wanderschaft durch Unterfranken. Warum? Weil die Objekte in einem anderen, teilweise auch ungewohnten Kontext oft noch einmal ganz andere Geschichten erzählen. Andrea Brandl, Kuratorin aus Schweinfurt, gerät richtig ins Schwärmen darüber, wie ein Porträt von Balthasar Neumann vor zwei Jahren in der Schweinfurter Kunsthalle zwischen zeitgenössischer Kunst hing und für Irritationen sorgte.

Irritation, vor allem aber auch Aha-Effekte versprechen sich die Macher von den „Seitensprüngen“ ihrer Exponate. So wie im Falle des Neumann-Bildes, das auch klarmachte: So viel hat sich in der Porträtmalerei über die Jahrhunderte gar nicht geändert. Viele neue Blickwinkel wird es auch in diesem Jahr geben, wenn acht Objekte in acht „fremden“ Museen Schlaglichter auf das Jahr 1814 und die 200-jährige unterfränkisch-bayerische Geschichte werfen. Vom 29. Juli bis zum 5. Oktober gehen die Kunstwerke fremd.

Über ganz Unterfranken sind die acht teilnehmenden Museen verstreut: von Miltenberg bis Wechterswinkel, von Aschaffenburg bis Volkach. Brandl hofft, dass mit den Exponaten auch die Besucher auf Tour gehen und dabei vielleicht das eine oder andere Museum neu entdecken.

Ein königliches Patent reist von Aschaffenburg nach Schweinfurt, ein Bild von der Gaibacher Konstitutionssäule ins Museum Schloss Aschach, das im Gegenzug ein Glückwunschschreiben verleiht. Das Mainfränkische Museum Würzburg tauscht ein Gemälde gegen eine Prunkvase aus Bad Kissingen, das Rhönmuseum Fladungen schickt 16 „Rhönwackler“ nach Aschaffenburg, und Miltenberg verleiht ein Porträt von König Max I. Alle Exponate drehen sich direkt oder indirekt um das Jahr 1814, als der größte Teil Unterfrankens in Folge einer Neuordnung Europas während und nach den Napoleonischen Kriegen bayerisches Territorium wurde. Sie erzählen von den Veränderungen, die die Zugehörigkeit zu Bayern für die einzelnen Regionen mit sich brachte. Dabei beleuchten sie nicht nur die politischen Ereignisse, sondern auch, wie sich die Zugehörigkeit zu Bayern für Kunst und Kunsthandwerk, Industrie und Gewerbeförderung auswirkte. „Wir wollten verschiedene Facetten herausarbeiten“, sagt Brandl.

Facettenreich ist auch die Geschichte der Schweinfurter Spott-Tapete, die ab dem 29. Juli im Kloster Wechterswinkel zu sehen ist, ausgeliehen vom Museum Altes Gymnasium Schweinfurt. Der Beginn dieser Geschichte liegt im Jahr 1822. Der Schweinfurter Unternehmer Wilhelm Sattler (1784-1859) hat das Schloss Mainberg in Schonungen nahe Schweinfurt gekauft. Nun bittet der Farbenfabrikant, der als solcher auch das berühmte Schweinfurter Grün herstellte, den bayerischen König Max I. Joseph um Erlaubnis, einen Teil des Schlosses als Tapetenfabrik zu nutzen. „Tapeten waren damals en vogue und kamen meist aus Frankreich“, sagt Andrea Brandl, die das Stück für „Kunst geht fremd“ ausgesucht hat. Nicht nur der Adel, auch das reiche Bürgertum kann sich inzwischen solchen teuren Wandschmuck leisten. Und so bekommt Sattler nicht nur die königliche Erlaubnis für die Umnutzung des verfallenen Schlosses, sondern hat auch Erfolg mit seinem Unternehmen: Bald ernährt die erste bayerische Tapetenfabrik mehr als 100 Arbeiter.

Dass zu Sattlers Kunden nicht nur Adel und Bürgertum gehören, sondern auch die bayerische Königsfamilie, zeigt ein erhalten gebliebenes Schriftstück. „Sattler hatte offenbar Kundschaft in den besten Kreisen“, sagt Brandl und faltet das vergilbte Papier mit den handgeschriebenen Notizen auseinander. In dem Brief sind nicht nur Tapetenlieferungen an die Grafen von Amannsberg, Lerchenberg und Schönborn sowie den Fürsten von Wrede aufgelistet, sondern auch an die Königinmutter und den König selbst. König Ludwig I., der seinem Vater Max nach dessen Tod im Jahre 1825 nachfolgte, war offenbar ein Fan der Schweinfurter Tapeten: Bei einem Besuch des Schlosses, als er „dessen Bau und Einrichtungen mit Wohlgefallen in Augenschein“ nahm, hatte Sattler ihm ein paar Tapeten geschenkt. „König Ludwig war angetan von Sattlers Wirken“, sagt Brandl. Anscheinend verband die beiden sogar mehr als nur eine geschäftliche Beziehung.

Umso erstaunlicher erscheint nun, was auf der sogenannten Spott-Tapete zu sehen ist, die nach der Übergabe der Fabrikleitung an Sattlers Sohn Jens auf Schloss Mainberg entstand. Die Tapete, die als „Supraporte“, also für die Anbringung über einer Tür, gedacht war, zeigt nur auf den ersten Blick eine Kinderszene. Auf den zweiten Blick erkennt man, dass es sich bei dem Jungen mit dem Papierhut wohl um König Ludwig I. handelt, der eine Fahne mit seinem Initial in der Hand hält. Das Mädchen neben ihm zeigt zweifelsfrei Lola Montez, jene irische Tänzerin, mit der der König 1846 eine Affäre anfing, was letztlich zu seiner Abdankung im Jahr 1848 führte.

Dass es sich hier um eine Persiflage des Königs handelt, belegen weitere Details: Das Püppchen in der Hand von Lola Montez trägt die Gesichtszüge der Königin, und die beiden anderen Personen, die offenbar Bock und Gärtner darstellen sollen, wohl die zweier Kabinettsmitglieder Ludwigs I. Welchen Bock Ludwig hier zum Gärtner macht, bleibt allerdings ein Rätsel. „Es wäre interessant herauszufinden, um welche Minister es sich handelt“, so Brandl. Für welchen Verwendungszweck die Tapete gedruckt wurde, ist genauso wenig bekannt wie der Urheber des Motivs. Offensichtlich handelt es sich aber um eine frühe Satire, die sicher kein Kassenschlager war, sondern allenfalls im stillen Kämmerchen gezeigt wurde. Dennoch sind mehrere Exemplare der Tapete erhalten. Ein Glück, „denn Tapeten sind unglaublich selten“, wie Brandl betont.

So wie bei Porzellan meist die Kaffeetassen fehlten, weil da gern der Henkel abbreche, sei es auch mit den Papierbahnen: Entweder wurden sie überklebt, oder man riss sie gleich mit dem Putz ab. Umso interessanter erscheint da das Kuriosum Spott-Tapete, das nicht nur von den politischen Ereignissen um 1848 Zeugnis ablegt, sondern auch von Kultur und Unternehmertum im Unterfranken des 19. Jahrhunderts.

Kloster Wechterswinkel

Die Spott-Tapete ist vom 29. Juli bis zum 5. Oktober im Kloster Wechterswinkel zu sehen. Wechterswinkel ist ein Ortsteil von Bastheim in der Rhön. Das ehemalige Kloster in Wechterswinkel bietet heute auf drei Ebenen ein breites kulturelles Angebot. In der Galerie des Erdgeschosses wird zeitgenössische Kunst ausgestellt. Ein Schwerpunkt ist die Bildhauerei. Im Festsaal darüber finden Konzerte, Lesungen, literarische Abende und Theater statt. Im zweiten Obergeschoss präsentiert sich die museale Einrichtung, die die Geschichte des Klosters Wechterswinkel näher beleuchtet. Das historische Ensemble mit Innenhof ist darüber hinaus Kulisse für kunsthandwerkliche Märkte, kulinarische Events und Open-Air-Veranstaltungen. Öffnungszeiten: Mi. bis So. und feiertags 13 bis 17 Uhr, Tel. (0 97 73) 89 72 62, www.kloster-wechterswinkel-kultur.de

 
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