Etwas abgenutzt sieht es aus, an den Enden ausgefranst und etwas gekräuselt, und doch samtig weich: ein Stück Leder, vermutlich von einer Ziege stammend, mit geometrischen Ornamenten verziert, Funktion unbekannt, aber wohl ein Kleidungsstück. Das Teil aus der ethnologischen Sammlung Giegler Pascha lagert normalerweise im Depot der Museen und Galerien der Stadt Schweinfurt.
Giegler Pascha: Das ist Carl Christian Giegler, der 1844 in Schweinfurt geboren wurde. Als Ingenieur ging er in den Orient, wo er 20 Jahre seines Lebens verbrachte, in den Rang eines Paschas erhoben und unter anderem mit der Niederschlagung des Mahdi-Aufstandes beauftragt wurde. Im Rahmen von „Kunst geht fremd“, der Kunst-Tausch-Aktion unterfränkischer Museen, bei der sich in diesem Jahr alles um das Thema Haut dreht, ist das lederne Stück noch bis zum 8. November im Museum im Kulturspeicher in Würzburg zu sehen – wo es inmitten moderner Kunst ziemlich aus dem Rahmen fällt.
Die Fotografie, die Giegler Pascha in seiner Gala-Uniform zeigt, erinnert an Karl May, an Filme wie „Lawrence von Arabien“ oder „Karthoum“. Doch wie kommt ein gelernter Uhrmacher aus der tiefsten fränkischen Provinz im ausgehenden 19. Jahrhundert dazu, im fernen Orient Karriere zu machen? Direkt nach seiner Uhrmacherlehre zieht es den Sohn einer aus Thüringen stammenden Buchbinder- und Buchhändlerfamilie fort von daheim. Nur mit dem Nötigsten schlägt er sich nach Heidelberg durch, als eine Art reisender Uhrmacher verschlägt es ihn weiter nach Gießen, Dresden und schließlich, 1863, nach Hamburg. Dort lernt er – quasi auf dem zweiten Bildungsweg – Französisch, eigentlich will er seinen Bruder in die neue Welt begleiten. Doch er bleibt in der Hansestadt, um dann in Woolwich bei London bei einem Uhrmacher anzuheuern. In der dortigen Siemens-Telegrafenbauanstalt bildet er sich in Elektrotechnik weiter, gibt schließlich den Uhrmacherberuf auf und arbeitet als Ingenieur für Siemens.
An seinem Arbeitsplatz, einem Geschäft in Woolwich, findet eine schicksalsträchtige Begegnung statt – mit Charles George Gordon, dem späteren sudanesischen General-Gouverneur und Pascha, der im Film „Karthoum“ von dem Schauspieler Charlton Heston verewigt wurde.
Als die ägyptische Regierung zwei Ingenieure für den Bau von Telegrafenleitungen im Sudan sucht, meldet er sich und reist mit 29 Jahren in den Nahen Osten. Offenbar schätzt man seine Arbeit dort, denn schon nach zwei Jahren wird er in den Rang eines „Bey“ erhoben – eine Stellung zwischen Effendi und Pascha. Als Gordon 1877 General-Gouverneur in der ägyptischen Provinz Sudan wird, ernennt er Giegler zum Postmeister und schließlich zu seinem Stellvertreter im Rang eines Paschas – der höchste Titel in der osmanischen Rangfolge.
1881 beginnen schwere Jahre: Der religiös-politische Führer Muhammad Ahmad, der sich zum Mahdi, also zu einer Art islamischem Messias, erklärt hat, zettelt einen Aufstand gegen die Kolonialmacht an. Giegler Pascha wird – ohne jede militärische Erfahrung – von der Regierung in Kairo beauftragt, den Aufstand niederzuschlagen. Ohne Erfolg: Nach zwei Jahren wird er in seinem Amt von einem Ägypter abgelöst. 1883 kommt Giegler für ein halbes Jahr zurück nach Schweinfurt. Dort lernt er seine zukünftige Frau, die 18-jährige Elly Fechner, kennen, nur drei Monate nach der Heirat nimmt er sie mit nach Ägypten. Wegen der dort herrschenden Unruhen geht das Ehepaar nach Ismailia, wo Giegler in der Generalverwaltung des Suezkanals arbeitet.
1893, nach 20 Jahren, kehrt Giegler Pascha mit Frau und vier Kindern zurück in seine Geburtsstadt Schweinfurt. Dort schmückt er sein Haus – die Baumgruppe, die dort steht, nennen die Schweinfurter „Pascha-Wäldchen“ – mit den Speeren, Trommeln und Schilden, die er im Sudan gesammelt hat. 45 volkskundliche Objekte hat Giegler in seiner Zeit in Afrika erworben: Werkzeuge, Kleidungsstücke, Kopfringe, Musikinstrumente und Waffen aus pflanzlichen und tierischen Materialien.
Nach seinem Tod im Jahr 1921 ging die kleine Sammlung erst an das Alexander-von-Humboldt-Gymnasium, später als Leihgabe an die Schweinfurter Museen. Beim Thema Haut musste Andrea Brandl von der Kunsthalle gleich an die Sammlung Giegler Pascha denken. Das Stück Tierhaut mit den ausgeschabten geometrischen Ornamenten, das nun nach Würzburg in den Kulturspeicher reisen durfte, fand sie besonders spannend, auch wenn Verwendungszweck und Ursprung bisher nicht geklärt werden konnten.
War es ein Lendenschurz? Oder ein Cape? Zumindest trägt das weiche Lederstück Gebrauchsspuren, an einer Stelle wurde ein kleiner Riss mit einem Lederband genäht. Auch an einer der Seiten finden sich Einstiche, durch die offenbar einmal eine Naht verlief. Bislang wurde die Sammlung nicht wissenschaftlich bearbeitet. „Schön wäre es, wenn das diesjährige 'Kunst geht fremd'-Projekt Anlass gäbe, die überaus spannende Sammlung genauer auszuwerten“, so Andrea Brandl. Im Kulturspeicher wird das Tierleder auf jeden Fall ein gewisser Störer sein. „Die Leute sollen sich fragen: Wie passt das jetzt hierher?“, sagt Kurator Nico Kirchberger. Und irgendwie passt es dann doch wieder: sei es im Kontext der geometrischen Formen der konkreten Kunst oder der Handstudien der Würzburger Malerin Gertraud Rostosky.
Museum Kulturspeicher
Das Bekleidungsstück aus Leder ist noch bis 8. November im Würzburger Museum Kulturspeicher zu sehen, das Kunst vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart zeigt. Museum Kulturspeicher, Oskar-Laredo-Platz 1, 97080 Würzburg, Tel. (09 31) 32 22 50, geöffnet Di 13-18 Uhr, Mi 11-18 Uhr, Do 11-19 Uhr, Fr, Sa, So 11-18 Uhr, montags geschlossen.