Bei Kriegsende war Jehuda Bacon 15 Jahre alt. Seine Erfahrungen waren so unvorstellbar grauenvoll, so unmenschlich, dass er das „normale“ Leben erst wieder lernen musste. Seine Gefühlswelt war so zerstört, dass er, als er ein Begräbnis sah, fast lachen musste. „Sind denn die Leute wahnsinnig, um einer Leiche willen solche Geschichten zu machen?“
„ . . . der mit dem Leben weiterwandert“. Mit dieser Zeile aus einem Gedicht von Nelly Sachs ist die Ausstellung im Würzburger Museum am Dom betitelt. „Jehuda Bacon ist zeitlebens weitergewandert, über alle Erfahrungen hinweg, die ihn an die Grenze seiner Existenz geführt haben“, sagt Museumsleiter Jürgen Lenssen, Bau- und Kunstreferent der Diözese Würzburg.
„Ich hatte die Möglichkeit, etwas zum Ausdruck zu bringen“, sagt Bacon, 1929 als jüngstes Kind einer jüdisch-chassidischen Familie in Mährisch-Ostrau (heute Ostrava, Tschechien) geboren. In den frühen Zeichnungen hat Bacon, der 1942 als 13-Jähriger mit seiner Familie ins KZ Theresienstadt, ein Jahr später nach Auschwitz deportiert wurde, das Grauen verarbeitet.
In einer Zeichnung, die in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem hängt, sieht man das Gesicht seines Vaters. Es schwebt über einem Schornstein, ist von Rauch umgeben. Der Blick ist gebrochen, die Lippen sind geöffnet. Am Rand hat Jehuda Bacon das Todesdatum des Vaters geschrieben: „22h, 10.VII 44“. Auch seine Mutter und eine seiner Schwestern haben den Holocaust nicht überlebt.
Er hat den Abschied vom Vater nie vergessen. Den letzten Blick. Die letzten Worte. „Ich sagte zu ihm: Sorg Dich nicht. Wir treffen uns nach dem Krieg. Aber er und ich wussten: Das ist das letzte Mal, dass wir uns sehen.“ Es war klar, dass auch er in Auschwitz „ins Gas“ zu gehen hatte, wie sein Vater. Dass Bacon aus den Todgeweihten „herausselektiert“ und am 18. Januar 1945 auf den „Todesmarsch“ ins KZ Mauthausen geschickt wurde, war einer der Zufälle, denen er sein Leben verdankt. Er fiel während des Marsches nicht hin und wurde deshalb nicht erschossen – wie so viele, die zu schwach waren für die Strapazen. Der nächste Todesmarsch führte nach Gunskirchen. Auch dort kam er lebend an. Für Bacon ein Wunder. Und dort rettete erneut ein Zufall sein Leben: Am 5. Mai, dem Tag der Befreiung, hatten die Nazis das Lager bereits verlassen und alle Lebensmittel vergiftet. Bacon erbeutete ein großes Stück Margarine. Ein Mithäftling nahm es ihm mit Gewalt weg, aß es – und starb.
Als sein größtes Glück empfindet Jehuda Bacon nach Kriegsende die Begegnungen „mit wunderbaren Menschen“ – etwa in Prag mit dem Pädagogen und Humanisten Premsyl Pitter, der ihn und andere elternlose Kinder in seinem Waisenhaus aufnahm. Später, in Israel, wurde ihm der Religionsphilosoph Martin Buber ein väterlicher Freund. „Die Begegnung mit solchen Menschen bedeutet Hoffnung.“
Als seine größte Rettung sieht er neben seiner Kunst seine Fähigkeit an, den Hass zu überwinden, das Leben zu bejahen. „Mir wurde klar, wie zerstörend der Hass ist. Letzten Endes wird der Mensch, der hasst, zerstört.“ Er suchte Versöhnung und engagierte sich früh in der „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“. „Ich habe erkannt, dass es das absolut Böse nicht gibt, dass in jedem Menschen der Funken Gottes ist, auch in den Abtrünnigen.“
Jehuda Bacon erzählt von einem SS-Mann, der zu den „schlimmen“ zählte. Der hatte zehn Jugendliche aus dem Lager „mit zum Tor“ genommen. „Das bedeutete Fürchterliches.“ Aber was passierte? „Er holte eine Salami heraus, schnitt sie in zehn Stücke, gab jedem von uns eine Schnitte.“ Als sei er sich selbst nicht geheuer, schickte der Nazi die Jungs wieder weg: „Haut ab!“
Später wollte Jehuda Bacon auch in seinen Bildern zeigen, dass es in der Welt mehr als eine Wirklichkeit gibt. Bacon, Zeuge im Eichmann- und im Auschwitz-Prozess, wollte als Künstler kein „Berufs-KZler“ werden. „Die Heilkraft und positive Eigenschaft der Kunst besteht darin, dass sie uns zum Guten leitet und uns auch menschlich hilft.“
Nach den frühen Zeichnungen ändert sich sein Stil. Bacon reduziert aufs Wesentliche, dennoch wirken seine Bilder vielgestaltig. Sie sind voller Leichtigkeit und Spannung zugleich. Später entdeckt er Farbe. Seine frühen Farbbilder zeigen Strenge, doch die starren Konturen lösen sich zunehmend auf. Die Werke haben keine Titel, sie sind versponnen, rätselhaft, voller Leuchtkraft. „Ich versuche das Geheimnis des Lebens abzubilden“, sagt Jehuda Bacon, der bis 1994 Professor für Grafik und Zeichnen an der Kunstakademie in Jerusalem war.
Bis 12.Mai. Öffnungszeiten bis 31.3.: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr; ab 1.4.: 10 bis 18 Uhr. 1. Mai geschlossen; Pfingstmontag geöffnet.