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WÜRZBURG
Kulturspeicher: Verlogene Nazi-Idyllen
Kulturspeicher: Die Städtische Sammlung Würzburg arbeitet ihre Geschichte auf. Eine Ausstellung zeigt Werke, die zur Nazi-Zeit gekauft wurden – und leistet einen Beitrag zur Entmystifizierung jener Epoche.
Idyll im Nazi-Stil: Ferdinand Spiegel malte „Arbeitskameraden“ vor 1940.
Foto: Andreas Bestle (CTW) | Idyll im Nazi-Stil: Ferdinand Spiegel malte „Arbeitskameraden“ vor 1940.
Von unserem Redaktionsmitglied Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 26.04.2023 19:29 Uhr

Der Besucher stutzt. Da stellt sich ihm ein großes Bild in den Weg, hindert ihn daran, die Ausstellungsräume des Würzburger Kulturspeichers geradewegs zu betreten. Aus der eineinhalb mal zweieinviertel Meter großen Mischtechnik blicken ihm die seltsam hellen Augen eines kernigen Landmannes entgegen. Unter dem Schlapphut leuchtet das Blondhaar hervor. Die starke Hand des Mannes hält ein Pferd am Zügel . . .

Gleich am Eingang konfrontiert die Sonderausstellung „Tradition und Propaganda“ mit dem, was den Besucher in knapp 90 Bildern, Grafiken und Skulpturen erwartet: allerhand künstlerisch und inhaltlich Fragwürdiges. Nazi-Kunst. Oder jedenfalls das, was zwischen 1933 und 1945 der Reichskulturkammer genehm war. Denn im nationalsozialistischen Deutschland war zentral festgelegt, was „Kunst“ war und was nicht.

Was im Kulturspeicher gezeigt wird, wurde aus dem Depot der Städtischen Sammlung ans Tageslicht geholt. Kuratorin Bettina Keß hat eineinviertel Jahre gegraben und im Gesamtbestand von knapp 30 000 Werken 1300 Arbeiten gefunden, die zur Zeit des „Dritten Reichs“ entstanden. Die Städtische Galerie wurde 1941 gegründet, Galerieleiter Heiner Dikreiter, NSDAP-Mitglied, kaufte nur an, was der Ideologie und dem Geschmack der Nazis angepasst war. Abstraktes und all das, was seinerzeit als „entartet“ gebrandmarkt war, kam ihm nicht ins Haus.

Dikreiter war emsig. Keine andere Stadt kaufte so viel bei den propagandistisch genutzten „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ im Münchner Haus der Kunst ein: 155 000 Reichsmark gab Würzburg allein dort für 97 ideologiekonforme Werke aus, wie das Kontobuch in der Ausstellung zeigt. Zum Vergleich: Der KdF-Wagen (Vorläufer des VW Käfer) sollte für 990 Reichsmark in den Handel kommen.

Die Werkauswahl sei repräsentativ für den Gesamtbestand, sagt Bettina Keß. Der Besucher sieht diverse Hakenkreuze – auch der in Unterfranken so geschätzte Richard Rother schnitt das Symbol in Holz –, eine überlebensgroße Hitlerbüste oder eine heroische Kriegsszene, zu deren Untertitelung ein Schillerzitat missbraucht wurde: „Der dem Tod ins Auge sehen kann, der Soldat allein ist der freie Mann.“ Das ist offensichtliche Propaganda der Hitler-Diktatur. Verlogen. Das sieht jeder. Aber was ist mit dem „arischen“ Bauern und seinem Pferd? Was mit der großformatigen Gebirgslandschaft oder der idyllischen Ansicht eines fränkisches Dorfes? Harmlos?

Nur auf den ersten Blick. Denn auch vermeintlich unverdächtige Bildinhalte sollten die Ideale der „Volksgemeinschaft“ transportieren. Der Würzburger Ferdinand Spiegel, Maler des Bildes mit Landmann und Pferd, und der Landschafter Hermann Gradl standen denn auch auf der „Gottbegnadeten“-Liste der fürs NS-Regime unverzichtbaren Künstler. Wie jede Diktatur wollten die Nationalsozialisten das Denken ihrer Untertanen im Griff haben. Die Bildende Kunst war ein Rädchen in der Unterdrückungsmaschinerie der Machthaber. Und die mitten im Krieg gegründete Städtische Galerie Würzburg funktionierte ganz in diesem Sinne. Unangepasstes wurde konsequent draußen gehalten. Zwar war nicht jeder, der Angepasstes produzierte, ein Nazi. Er stützte dennoch, wenn auch unbeabsichtigt, das System. Wenn Kunst nicht auch zum Nachdenken anregt, sich nicht mit Ecken und Kanten gegen den Mainstream stemmt, ist sie keine Kunst. So gesehen ist die dem „Führer“-Geschmack gemäße Landschaft eben nicht harmlos, sondern ebenso Nazi-Kunst wie das offensichtliche Hakenkreuz. In der gut kommentierten Ausstellung lässt sich das nachvollziehen.

Kunst ohne Ecken und Kanten ist langweilig. Und so leistet die Schau auch ihren Beitrag zur Entmystifizierung der Nazi-Kunst. Weil sie zeigt, wie nichtssagend, oft sogar kitschig ist, womit Hitler einen „unerbittlichen Säuberungskrieg führen“ wollte „gegen die letzten Elemente unserer Kulturzersetzung“.

Henrike Holsing, stellvertretende Museumsleiterin, spricht vom „unangenehmen Erbe“, das im Depot lagert. Bemerkenswert ist, dass noch weit nach dem Krieg unter Heiner Dikreiter Arbeiten aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 angekauft wurden. Mit moderner Kunst konnte der bei der Entnazifizierung als „Mitläufer“ eingestufte Galerieleiter sich nie wirklich befreunden. Für den Kulturspeicher, Nachfolger der Dikreiter'schen Städtischen Galerie, ist die Ausstellung auch eine „Bestandsaufnahme“, wie es im Untertitel heißt. Würzburg beginnt, die eigene ungute (Kunst-)Geschichte aufzuarbeiten. Das habe, sagt Holsing, „auch etwas Reinigendes“.

Öffnungszeiten: Dienstag 13 bis 18, Mittwoch und Freitag bis Sonntag 11 bis 18, Donnerstag 11 bis 19 Uhr. Bis 12. Mai. Es gibt zahlreiche Sonderveranstaltungen. Mehr Infos: www.kulturspeicher.de

„Weinbergarbeiterin“ oder „Im Weinberg“ von Georg Ehmig (1939)
| „Weinbergarbeiterin“ oder „Im Weinberg“ von Georg Ehmig (1939)
 
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