Die Haare vorne kurz und hinten lang, die Stimmen schrill, die Klamotten glänzend und knallbunt: Anfang der 1970er boomte der Glamrock, als erfolgreichste Band galten The Sweet. Hits wie „Ballroom Blitz“, „Teenage Rampage“, „Block Buster“ oder „Fox on the Run“ verkauften sich bis heute 55 Millionen Mal. Manche meinen, ohne den Süßstoff-Pop von The Sweet hätte es Bands wie Kiss, Motley Crüe oder The Darkness nie gegeben. Gitarrist Andy Scott, der mittlerweile, im Alter von 66 Jahren, aussieht wie ein kuscheliger Teddybär mit Langhaarfrisur, sorgt seit 45 Jahren dafür, dass der alte Süßstoff noch süßt. Jetzt aber spricht er von der Abschiedstournee. Am 23. Oktober spielen The Sweet in der Würzburger Posthalle.
Andy Scott: Ich bin jetzt seit 50 Jahren Profi. Bereits als Schüler habe ich mit Musik etwas Geld verdient. Aber es fällt mir immer schwerer, monatelang auf Tour zu sein und jeden Abend zwei Stunden in einer anderen Stadt auf der Bühne zu stehen.
Scott: Je älter ich werde, desto mehr Zeit brauche ich, um mich zu erholen. Deshalb wird dies unsere letzte zusammenhängende Tournee sein.
Scott: Danach werde ich mit The Sweet nur noch vereinzelte interessante Shows oder auf ausgewählten Festivals spielen. Ganz aufhören kann ich nicht, aber ich werde in Zukunft noch mehr auf meine Gesundheit achten.
Scott: Diese Frage sollten Sie nicht mir stellen, sondern Mister Jagger, Mister Richards und den anderen, die ein bisschen älter sind als ich und immer noch wacker auf Tour gehen. Als ich in den 1960ern anfing, waren die einzigen älteren Kollegen die Blues-, Folk- oder Jazz-Musiker. Es gab damals keine alten Pop- oder Rocksänger. Es war unvorstellbar, dass man jenseits der 30 oder 40 noch auftreten könnte, ohne sich lächerlich zu machen.
Scott: Heute sind die Musiker von damals in ihren Sechzigern, und anstatt sich lächerlich zu machen, werden sie dafür geschätzt, dass ihre Musik immer noch frisch klingt.
Scott: Wir sind gerade dabei, ein neues The-Sweet-Album vorzubereiten. Das wird dann vielleicht unser letztes sein. Nichtsdestotrotz habe ich mit Suzi Quatro und Don Powell von Slade bereits eine neue Band gegründet. Sollten die Leute unsere Musik mögen, werden wir vielleicht die ein oder andere Show spielen. Bis dahin konzentriere ich mich voll und ganz auf The Sweet.
Scott: Wie bitte? (lacht) Ich glaube, mein Gehör funktioniert noch ganz gut. Das rechte Ohr ist in den hohen Frequenzen nicht mehr ganz so beschaffen wie früher, aber ich muss immer noch nicht schreien, wenn ich mich unterhalte. Viel tragischer ist der Umstand, dass ich als Songschreiber einfach nicht mehr so viele fruchtbare Ideen habe wie früher.
Scott: In meinem Kopf geistern zwar viele Einfälle herum, aber wenn ich anfange, sie aufzuschreiben, landet das meiste im Papierkorb. Das ist jammerschade.
Scott: Im deutschen Fernsehen, zum Beispiel in der „Ultimativen Chart Show“, sind unsere Songs noch extrem beliebt. Dennoch glaube ich, dass The Sweet insgesamt unterbewertet sind. Die Beatles, Abba, Queen, die Rolling Stones, The Who und David Bowie werden in England stets höher eingeschätzt als wir. Ich finde aber, unsere Hits können mit deren Hits durchaus mithalten.
Scott: Das spielt für mich prinzipiell keine Rolle. Wenn ein Jüngerer einen verdammt guten Job macht und in meiner Band spielen will, dann gerne. Es ist schwer, Musiker in meinem Alter zu finden, die erstens noch leben und zweitens noch in keiner berühmten Band gespielt haben. Es sind eher die jüngeren Leute, die mich freiheraus ansprechen, weil sie mit mir arbeiten wollen.
Scott: Es gibt ein Buch über unsere ersten elf Jahre, darin werden fast 2000 Shows aufgelistet. Es würde mich nicht wundern, wenn wir in den folgenden 30 Jahren weitere 3000 Konzerte gespielt hätten.
Scott: Das einzige Mal, dass ich Konzerte absagen musste, war, als ich 2010 wegen meines Prostatakrebses ins Krankenhaus musste. Es waren wohl insgesamt zehn Shows. Zum Zeitpunkt meiner Reha sollten wir in Hamburg mit Foreigner, Nazareth und Barclay James Harvest auftreten. Das wollte ich auf keinen Fall verpassen. Es war aber ein Fehler, denn anschließend ging es mir nicht so gut.
Scott: Ich betrachte die Dinge jetzt anders. Ich würde nicht sagen, dass ich vor dieser Erkrankung ein unwirscher Kerl war, aber ich habe immer offen gesagt, was ich dachte und fühlte. Inzwischen trete ich einen Schritt zurück und lasse andere vor. Mein Sohn und mein Agent kümmern sich ums Tagesgeschäft. Mein Leben ist dadurch viel stressfreier geworden, ich glaube, das wirkt sich sogar auf unsere Konzerte aus.
Scott: Mein Freund Johnny Callis, der als Toningenieur für Paul McCartney arbeitet, und der Inhaber des Pubs, in dem ich nach Feierabend mein Bier trinke, hatten zur gleichen Zeit wie ich Krebs. Johnny und ich hatten einen Tumor in der Prostata und Richard einen im Auge. Als wir alle absehen konnten, dass wir wieder gesund werden, beschlossen wir bei einem Bier, etwas gegen den Krebs zu tun. Unser erstes Wohltätigkeitskonzert fand 2012 statt, mit Brian May von Queen, Mike & The Mechanics und The Sweet. 2013 spielten Jeff Beck, 10 cc, Roger Taylor von Queen mit verschiedenen Sängern, 2014 dann The Boomtown Rats und Steve Harley & Cockney Rebel. Inzwischen haben wir 50 000 Euro an zwei bedeutende Krebsstiftungen gespendet.
Scott: Ich glaube, ich habe in meinem Leben nicht so viele wilde Partys gefeiert wie Brian und Mick. Im Gegensatz zu einigen meiner Freunde hatte ich eine eingebaute Stopptaste. Ich bereue nichts, was ich getan habe. Mein bisheriges Leben war unvorstellbar großartig.
Scott: Es passieren ständig spannende Dinge, mit denen man nie rechnen würde. Bis vor zwei Jahren hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich mich je mit Jeff Beck unterhalten würde. Ich hatte das große Glück, die meisten meiner Helden treffen zu dürfen. In Musikerkreisen heißt es immer, das solle man nicht tun, weil man enttäuscht werden könnte.
Scott: Jimi Hendrix. Viel reden konnte ich mit ihm nicht, aber ich durfte ihm die Tür aufhalten. Ich spielte in seinem Vorprogramm, als er erstmals nach England kam. Ich erinnere, wie er kurz vor dem Gig eintraf, von außen an die Glastür klopfte, reinrauschte und „danke, Mann“ sagte. Später traf ich auch Eric Clapton und mehrfach sogar Jimmy Page, mit dem ich mich wunderbar unterhielt. Das Beste aber ist, dass ich in New York den Großen Les Paul viele Male live erleben durfte. Ja, mein Leben geht soweit in Ordnung.
Scott: Ich hatte tatsächlich mal einen anderen Job. Ich weiß noch, wie ein Lehrer mich vor 50 Jahren beiseite nahm und meinte, wenn ich nicht regelmäßig zum Unterricht erscheinen würde, würde ich die Abschlussprüfung nicht schaffen. Schon damals war mir meine Band wichtiger als die Schule. Dank dieses Lehrers schaffte ich die Prüfung und nahm einen Job in einer Bank an. Mathe war für mich nie ein Problem. Jedoch blieb ich nur sechs Monate bei dieser Bank, weil die Musik stärker war als die Zahlen.
Scott: Haha, ich wünschte, ich könnte das sagen! The Sweet hatten vielleicht nicht den besten Vertrag, aber er war besser als bei manch anderer Band. Geld kommt und Geld geht. Ich weiß bis heute nicht, wo mein Anteil des vielen Geldes, das The Sweet in den 1970ern eingespielt haben, hingeflossen ist. Aber ich lebe noch und trete auf. Ich muss mir keine Sorgen machen.