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Konzert in Bad Mergentheim: Bob Dylan und die Erwartungen
Bob Dylan und seine tiefsinnigen, zornigen, zynischen Songs sind so wirkungsmächtig wie eh. Und in Bad Mergentheim hat er manchmal sogar gesungen . . .
Dylan-Anhänger mit Dylan-Foto in Bad Mergentheim: Der Musiker mag nicht, dass man ihn beim Ausüben seines Berufs auf der Bühne ablichtet.
Foto: Chris Weiss | Dylan-Anhänger mit Dylan-Foto in Bad Mergentheim: Der Musiker mag nicht, dass man ihn beim Ausüben seines Berufs auf der Bühne ablichtet.
Von unserem Redaktionsmitglied Alice Natter
 |  aktualisiert: 09.07.2012 14:25 Uhr

Was kann man erwarten, nach all dem, was man über ihn zu wissen glaubt? Was kann man erwarten vom Konzert eines 71-Jährigen, der seinen ersten professionellen Auftritt vor 51 Jahren hatte, der in den 60ern Stimme der Gegenkultur war, vom Folk über Gospel und Blues bis Rock 'n' Roll keinen traditionell-populären amerikanischen Musikstil ausließ, Rockstar wurde, Millionen und Abermillionen von Schallplatten verkaufte, ob seiner dunklen, komplexen Lyrik immer wieder für den Literaturnobelpreis gehandelt wird und gerade von US-Präsident Barack Obama ehrenvoll mit der Medal of Freedom ausgezeichnet wurde?

Man erwartet das x-te Konzert der Never-Ending-Tour, die anno 1988 begann und mit Augen- und Kronensymbol im Bühnenhintergrund immer noch läuft, auf der striktes Fotografierverbot gilt (weshalb es auch kein Foto vom Konzert gibt) und auf der Robert Allen Zimmerman, Bob Dylan genannt, bei jährlich rund 100 Konzerten in der halben Welt mal mehr, mal weniger melodisch Satzfetzen durchs Mikrofon nuschelt, knarzt und grunzt.

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Was aber durfte man erwarten, nach den ersten drei Deutschland-Konzerten in Spandau, Bonn und Dresden unter der Woche? Dass der notorisch pünktliche Beginner Bob Dylan mit einer guten halben Stunde Verspätung anfangen, dass die traditionelle Konzertansage vom Band mit Verweis auf die globale pophistorische Bedeutung ausfallen würde? Dass also die Botschaft ausbleiben, dass Dylan dafür einen Flügel, ja einen Flügel, mitbringen würde und irgendwann im Laufe des zweistündigen Abends die Klassiker „Highway 61 Revisited“, „Ballad of a Thin Man“ und „Like a Rolling Stone“ zu hören wären? Aber Klassiker, was heißt das bei Dylan, der seine Songs ständig zerlegt und manisch wandelt und stetig rekonstruiert, schon?

Der Meister, die lebende Legende, also am sommerlauen Freitagabend im Schlosshof von Bad Mergentheim: Mit halbstündiger Verspätung, ansagefrei, beginnen Dylan und seine Band mit „Leopard-Skin Pill-Box Hat“ den Innenhof heiter zu beschallen. Vor 21 Jahren, bei den allerersten „Liedern im Schloss“ hatte der Songwriter hier schon auf der Bühne gestanden. Und nun, „Things Have Changed“? Die Zuhörer sind dieselben geblieben. Ein bisschen grau geworden und rund um die Hüfte, tragen sie die Dylan-T-Shirts von 2001, 1984 oder 1971. Ein paar „Fettes Brot“-Shirt-Träger sind inzwischen auch dabei, und Töchter und Söhne der Dylanologen.

Dylan beginnt am Keyboard, wechselt bei „To Ramona“ ans neue Grand Piano, das er weniger begnadet beherrscht wie die Mundharmonika, aber ebenso frisch und innig bearbeitet, geht dann nach vorne an die Rampe, und so geht das den Abend. Keyboard, Flügel, Mundharmonika im Wechsel, und mit den fünf Mitmusikern um Gitarrist Charlie Sexton bereitet Dylan in grenzenloser Arrangierlust alte Songs neu auf. Um ihre Zeitlosigkeit zu beweisen? Bei „Desolation Row“, zu dem sich der Meister wieder an den Flügel setzt, kommt in Bad Mergentheim jedenfalls kein schier endlos gedehntes Apokalypse-Stück mehr über die Bühne, die Jazzkapelle entledigt dem Stück in neuen Phrasen und experimentellen Frisuren fröhlich und leicht jede alte Bedeutungsschwere.

Zur „Show“, die zum Konzert angekündigt war, gehört – ganz Dylan und erwartungsgemäß – Folgendes: weite helle Hose, dunkler noch weiterer Blazer, keine Ansprache an die Tausende auf dem Rasen, nicht einmal ein „Hello“, dafür das Durchwuscheln der Locken, keckes Zähneblecken, das Aufsetzen eines Hutes in der Konzertmitte, das genuschelte Vorstellen der Bandmitglieder gegen Ende – und Pressefotos streng verboten. Was braucht es mehr Show? Dylons scharf-klugen Analysen des Weltgeschehens, die immer gültigen Weltweisheiten, zählen. Und wenn er die dann noch, wie an diesem friedlich-entspannten Sommerabend, nicht nur kehlig knarzt und kräht und bellt, sondern mit modulationsfreudiger Stimme rezitiert, also manchmal sogar singt . . .

Mit 71 Jahren sind Bob Dylan und seine tiefsinnigen, zornigen, zynischen, manchmal traurigen Songs so wirkungsmächtig wie eh, so ungeschönt und wuchtig wie er kann keiner vom wahren Amerika erzählen. Auch wenn die Hymne „Like a Rolling Stone“ heute anders klingt als vor 40 Jahren – die Freiheitsmedaille, die ihm Obama im Mai um den Hals hing, erhielt Bob Dylan für Inhalte und Haltung.

Zum Finale der Tour durch die amerikanischen Klangwelten drehen Dylan und seine Musiker auf, sie rocken und röhren den Highway 61 herunter, treiben und stampfen fulminante Arrangements. Bei „Ballad of a Thin Man“ lässt sich der schmächtige Songwriter heftig Hall und Echo aufs Mikrofon legen – am Kitsch knapp vorbei, aber das Publikum klatscht begeistert. Den Song, der für das Lebensgefühl einer ganzen Generation und für den Mann aus Wisconsin steht und mehr pazifistische Kraft hat als alle politischen Reden, gibt es als sanfte Zugabe: „Blowin' in the Wind“. Falls jemand noch Fragen hatte: Die Antwort verweht. Und spätestens da: Alle Erwartungen erfüllt.

 
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