zurück
Konzert im Würzburger Mainfranken Theater: Ulrich Tukurs Fantasiewelten
Singender Schauspieler: Im Interview verrät der 57-Jährige, warum er Mainfranken würdevoll findet, dass er Stilbrüche mag – und woran sein Hund starb. Am 27. Oktober gibt Ulrich Tukur in Würzburg ein Konzert.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 24.09.2014 14:51 Uhr

Die Band firmiert natürlich nicht unter „Band“, sondern unter „Tanzkapelle“: Ulrich Tukur & Die Rhythmus Boys. Die 1995 gegründete Tanzkapelle um den berühmten Schauspieler („Solaris“, „Das Leben der anderen“, „Tatort“), Musiker und Autor Ulrich Tukur spielt Unterhaltungsmusik der 20er- und 30er-Jahre – Songs von Hans Albers bis Charles Trenet oder Nachschöpfungen im Geiste der Leichtigkeit, des Witzes aber auch der Sentimentalität dieser Vorbilder. Nach vier Studioalben ist nun das Live-Album „Lebendig im Konzert: So wird’s nie wieder sein“ erschienen. Eine flankierende Maßnahme, wie Tukur sagt, zum neuen Live-Programm „Let's misbehave“, mit dem die Tanzkapelle am Montag, 27. Oktober, 20 Uhr, im Mainfranken Theater Würzburg Station macht. „Let's misbehave“ ist vor allem den Evergreens des American Songbook etwa von Cole Porter, Irving Berlin oder George Gershwin gewidmet.

Frage: Guten Tag, Herr Tukur!

Ulrich Tukur: Grrrüß Gott! Sie sitzen in Würzburg, oder? Da darf ich Ihnen gleich mal sagen, dass ich eine starke Verbindung zu Ihrer Region habe: Man hat mich in Aschebersch eingeschult, und Mainfranken ist eine der schönsten Gegenden, die ich kenne: Man isst gut, man trinkt einen guten Wein. Eine sehr würdevolle Gegend.

Würdevoll wäre mir auf Anhieb nicht eingefallen.

Tukur: Doch, doch. Diese hübschen, kleinen Dörfer . . . Ich habe mal eine Wanderung den Main entlang gemacht, das ist schon länger her. Ich erinnere mich an ein Dorffest, auf dem Jugendliche musizierten und einen alten Brauch pflegten. Sie drehten Holzrasseln und machten ziemlichen Krach. Es war etwas, das es dort schon seit Jahrhunderten gab.

Das war dann vielleicht um die Osterzeit?

Tukur: Das kann sein, ich weiß es nicht mehr. Aber es hat mich jedenfalls sehr berührt in einer Zeit, in der so viel über Bord geworfen wird, in der die Traditionen verschwinden und der Mensch im Wesentlichen das tut, was die Wirtschaft von ihm verlangt. Wenn junge Menschen dann so etwas pflegen – finde ich es würdevoll. Wahrscheinlich sehr katholisch, aber das ist doch wurscht. Mir jedenfalls.

Sie haben den Einstieg schon vorweggenommen. Meine erste Frage wäre gewesen: Was bedeutet Ihnen Stil in einer vollkommen stillosen Zeit?

Tukur: Dass man darum kämpft, dass nicht alles verloren geht. Die Musik, die ich mache, und auch viele meiner Theaterarbeiten sind der Versuch, auf eine Unterhaltungskultur aufmerksam zu machen und sie ins Bewusstsein der Menschen zurückzuholen, die sonst vergessen würde. Es ist eine Respektsbezeugung vor Künstlern, die in vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten gelebt und gearbeitet haben. Ich empfinde mich als vertikalen Menschen – ich bin nicht auf die Welt gekommen, um mich zum Spielball von Industrie und irgendwelchen Moden machen zu lassen. Ich stamme aus einer langen Kette von Menschen, die alle ihr Teil geleistet haben, gewonnen und verloren haben und dahingegangen sind – auf deren Rücken existierte ich, sonst wäre ich heute gar nicht möglich. Stil ist, das vorgefundene Leben, die Welt, die uns umgibt, schöner zu machen.

Sie sind ja nicht einfach nur Nostalgiker – welche Rolle spielt in Ihrer Kunst der Stilbruch?

Tukur: Brechen sollte man Erwartungshaltungen immer. Ich lebe ja auch nicht in der Zeit, aus der diese Musik stammt. Wenn wir Musik der 20er- oder 30er-Jahre spielen, weiß ich ja, dass wir nicht in den 20er- oder 30er-Jahren leben. Man muss dieses Lebensgefühl zu sich herüberziehen, die Sachen ironisch unterlaufen und neu interpretieren. Das heißt natürlich, dass es da Stilbrüche gibt. Die Auftritte mit der Band haben ja einen stark theatralischen, varietéhaften Charakter. Ich will nichts Museales machen, sondern die Dinge nehmen, wie sie einmal waren, und etwas Eigenes, Neues daraus bauen.

Sie singen in dem Liede „Am Steinhuder Meer“ von der Sehnsucht nach der Strandbar – ich nehme an, die Strandbar ist eine Chiffre. Nur wofür?

Tukur: Dieses Lied singen wir schon lange nicht mehr im Programm. Aber natürlich steht die Strandbar für das Paradies, für den Ort, der voller Zauber, Ruhe und voller Freude ist. Aber auch dieses Lied hat eine Ironie: „Und wenn wir dann Mann und Frau sind, / mit 'ner großen Kinderschar, / und wenn unsere Haare grau sind, / sind wir immer noch ein Paar. / Du hast längst die dritten Zähne, / und weißt nicht mehr, wer du bist. / Ja, dann denk ich an die Strandbar, / wo wir einst uns heiß geküsst.“ Es wird auch im Kitsch der Tod verhandelt.

Das Lied ist längst raus aus dem Programm, aber Sie können es immer noch auswendig.

Tukur: Ja, weil es unser einziger Hit war.

Der Versuch einer Brücke in die Vergangenheit – ist es auch der Versuch, sich vorzustellen, was hätte werden können, wenn es den Bruch des Nationalsozialismus nicht gegeben hätte?

Tukur: Ja, natürlich – hätte, hätte, Fahrradkette. Hätte es diese schrecklichen zwölf Jahre Nationalsozialismus nicht gegeben, wäre es 1933 nahtlos weitergegangen. Nicht nur unsere Städte wären erhalten geblieben, Millionen von Menschen und auch die reiche jüdische Kultur hätten überlebt. Wir stünden ganz, ganz anders da. Wir besäßen eine Filmindustrie von der Bedeutung Hollywoods, und Berlin wäre ein kulturelles Zentrum von wahrhaft internationaler Strahlkraft. Die Vorstellung ist einfach zu schmerzhaft, als dass man sie wirklich durchdeklinieren wollte. Es wäre ein völlig anderes Land.

Stattdessen haben wir dann die Restauration der 50er bekommen, mit Prüderie und Ordnungsliebe.

Tukur: Unter uns: Es ging ja nicht anders, weil dieses Land die totale Katastrophe erlebt hatte. Es war alles im Eimer. So am Boden wie Deutschland 1945 befand sich kaum je ein anderes Land in seiner Geschichte. Wahrscheinlich wäre es gar nicht anders aufzubauen gewesen, als es Konrad Adenauer mit seiner restaurativen, altmodisch behäbigen Art getan hat. Darüber haben wir nur unsere Originalität verloren. Die 50er-Jahre waren ein fader Abklatsch anderer Kulturen – es waren völlig unauthentische Jahre. Man kann ja hören, wie die Schlagertexte abstürzen. Das ist alles ziemlich witzlos und unoriginell, die Kompositionen werden immer primitiver, belangloser. Mich hat das nie interessiert, und es dauert wohl, bis man sich in Deutschland wieder zur eigenen Sprache und Kultur bekennt und zu einer Tradition, die ja auch vor 1933 bestanden hat.

Es ist vielleicht eine subjektive Empfindung – aber ich habe immer das Gefühl, dass Sie eine ganz eigene Welt umgibt. Auf der Bühne mit der Band, in Ihren Filmen. Ganz stark auch im „Tatort“.

Tukur: Das ist schon richtig. Ich lebe nicht so ganz im Hier und Jetzt. Aber das muss man ja auch gar nicht. Diesen Vorteil bietet einem ja die Zeit, in der wir leben. Ich bin auch durch meinen Abgang nach Venedig nicht nur in eine andere Stadt gezogen, sondern auch in ein ganz anderes Lebensgefühl. In dieser Stadt spielen die Zeiten keine Rolle, da verschwimmen die Jahrhunderte. Raum und Zeit heben sich auf sonderbare Art und Weise auf. In meinem letzten Buch, „Die Spieluhr“, geht es genau darum: Die Wirklichkeit, die wir als solche erleben, ist möglicherweise gar nicht die wirkliche Wirklichkeit. Es gibt andere Schichten, Fantasiewelten, die viel realer sein können. Ich baue mir eine Welt – ein ästhetisches Universum –, wie sie mir gefällt. Wie ich sie haben möchte. Und das ist der Beginn jeglicher Kunst: Wenn einem das nicht gefällt, was man vorfindet, malt man ein Bild, man schreibt ein Lied, eine Sinfonie, eine Geschichte oder dreht einen Film. Was auch immer, völlig wurscht. Um ein Gegenbild zu entwerfen. Und ich lebe in meinen Fantasiewelten intensiver als in dem, was mich hier umgibt.

Die Insel Giudecca, auf der Sie leben, ist ja sogar innerhalb Venedigs eine eigene Welt. Wie geht man auf der Giudecca mit dem Hund Gassi?

Tukur: Mein Hund ist leider vor einem halben Jahr an einem Gehirntumor gestorben, das war eine ziemliche Katastrophe. Wir gehen also nicht mehr Gassi. Aber als wir noch Gassi gingen, war es mit großen Schwierigkeiten verbunden – Venedig ist einfach keine Stadt für Hunde.

Ich kann mich da auch an Momente mit meinem Hund erinnern, etwa als ich frühmorgens in Potsdam verzweifelt ein Fleckchen gesucht habe.

Tukur: In der Ex-DDR tun sie sich noch immer schwer mit Hunden – die hatten in der Öffentlichkeit wenig zu suchen. Ansonsten geht es bei uns eigentlich, Italien ist auch nicht schlecht. Und Venedig ist für den Hund immer noch tausendmal besser als Paris. Da sind Sie mit einem Hund, der Mausgröße übersteigt, komplett aufgeschmissen. Sie können keinen Bus nehmen, keinen Zug, kein Taxi, keine Metro. Sie finden keine Grünfläche, gar nichts. Paris ist eine der hundefeindlichsten Städte der Welt. Und da, wo Tiere ausgegrenzt und schlecht behandelt werden, da lohnt es sich nicht hinzugehen. Da bin ich lieber in Würzburg.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Mathias Wiedemann
Bundeskanzler Konrad Adenauer
Cole Albert Porter
George Gershwin
Hans Albers
Interviews
Irving Berlin
Konzerte und Konzertreihen
Mainfranken Theater Würzburg
Nationalsozialismus
Schauspieler
Tod und Trauer
Ulrich Tukur
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen