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Würzburg
Klingender Trost vom Rechner: Burkard Schmidl beschallt Friedhof
Die Idee hat er schon 30 Jahren, aber die Zeit war noch nicht reif: Nun arbeitet der Würzburger Klangkünstler an einem Konzept für musikalische Trauerhilfe im Freien.
Burkard Schmidl mit Masken und Bildern in seiner interaktiven Kunst- und Klanginstallation 'Klangpuzzle – entlockt' 2019 in der Würzburger Augustinerkirche. 
Foto: Evelyn Schmidl | Burkard Schmidl mit Masken und Bildern in seiner interaktiven Kunst- und Klanginstallation "Klangpuzzle – entlockt" 2019 in der Würzburger Augustinerkirche. 
Joachim Fildhaut
 |  aktualisiert: 27.04.2023 10:02 Uhr

Der Komponist und Keyboarder Burkard Schmidl entwickelte für die Würzburger Landesgartenschau 1990 seine Dreifach-Quadrofonie-Bespielung von Landschaften. Anschließend machten seine Klanginstallationen bundesweit auf Gartenschauen die Runde. Jetzt kam der Musiker aus Eibelstadt mit der Stadtkirchengemeinde Marl im nördlichen Ruhrgebiet überein, den teilweise aufgelassenen Friedhof Lenkerbeck zum Klingen zu bringen. Bis die ersten Töne dort erschallen, wird es noch eineinhalb Jahre dauern.

An das frühere Mitglied der Ethno-Rock-Pioniere Dissidenten war der Marler Pfarrer Peter Neumann van Doesburg herangetreten. Der Seelsorger hält schon seit einer Weile aufgegebene Grabstätten frei, und so vergrößert sich im Lauf der Zeit eine Grünfläche, für die Schmidl nun gern komponieren möchte. Charakteristisch für Schmidls elektronisch generierten Klänge ist eine gewisse Sanftheit, auch traditionelle Schönheit. Als erfahrener Synthesizer-Programmierer lässt er Instrumente sehr lebendig werden, arbeitet aber auch gern mit Aufnahmen von Naturlauten, Stimmen und vielem mehr.

Klanginstallationen zwischen Friedhofsmauern sind bis heute selten

Der eher freigeistige Sohn eines strengen katholischen Würzburger Buchhändlers hatte schon früh in seiner Karriere als deutscher Klanggärtner den Eindruck, seine Freiluft-Musik müsse sich doch auch gezielt für Trauerarbeit einsetzen lassen. Ihm war damals, also Anfang der 1990er Jahre, klar, dass ein solches Konzept noch auf Unverständnis stoßen würde: "Allein der Umstand, dass es so etwas noch nicht gibt, genügt ja manchmal, um eine Idee im Keim zu ersticken. Man würde wohl sagen: Das gibt’s nicht, hatten wir noch nie, das stört die Totenruhe." Also beschloss er vor einem Vierteljahrhundert, das Konzept nicht zu verfolgen, bis die Kultur der Trauerarbeit sich verändern würde.

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Tatsächlich sind Klanginstallationen zwischen Friedhofsmauern bis heute selten. Etwas Besonderes entwickelt Schmidl allemal. Seine Tracks für Marl sollen sich von vergleichbaren Werken durch ihren Melodienreichtum, ihre Freude an Klangfarben, Rhythmik und durch die räumliche Nähe zu gepflegten, regelmäßig besuchten Gräbern unterscheiden. So sind Erwin Staches 2000 verlegte Trittplatten in Leipzig-Lindenau viel bildhauerischer angelegt, musikalisch hingegen eher abstrakt. Die Künstlerin diekleinefraubraunarbeitete 2014 im Berliner Friedhof St. Marien und St. Nikolai, allerdings nicht an der frischen Luft, sondern im Verwaltergebäude.

Im Alten St. Matthäus-Kirchhof, ebenfalls Berlin, kann man auf Knopfdruck erweiterte Audio-Guides zu Prominentengräbern abrufen. Und der tönende Braunschweiger Petri-Friedhof ist seit 1977 aufgelassen, also ein säkularer Park – wobei die Braunschweiger dank des Festivals klangstaetten/stadtklaenge für temporäre Friedhofs-Beschallungen durchaus offen sind. Auffällig an diesen Beispielen ist das absolute Vorherrschen evangelischer Gemeinden vor katholischen, wenn es um die akustische Belebung von Gräberfeldern geht.

Im Kohlenpott findet Schmidl ein gut vorbereitetes Umfeld für seine Ideen

Unter lutheranischen Kirchenmusikern hat sich denn auch der säkulare Komponist Burkard Schmidl in seiner Heimatstadt einen Namen gemacht. So stellte er eine Installation mit Klangcollage zuerst in der evangelischen Würzburger Kirche St. Johannis vor. Innovativ daran war besonders die Steuerung durch Bewegungsmelder: Sounds sprangen an, wenn ein Besucher in der Nähe des Lautsprechers vorbeiging. Gekoppelt hatte Schmidl die Musik mit Bildender Kunst von Menschen mit Behinderung. Deren Stimmen nahm er auch in den Klangspeicher auf. Ein Musiker weiß eben, wo Einfühlung gefragt ist.

Im Kohlenpott findet er dazu ein gut vorbereitetes Umfeld. Die sichtlich progressive Friedhofsverwaltung legt seit etlichen Jahren großen Wert darauf, dass möglichst viele verschiedene Typen von Gräbern in Lenkerbeck angelegt werden. Es gibt auf dem Areal Sinnesgärten, deren Pflanzen mehr als nur die Augen ansprechen. Und ein "Trauer-Parcours" richtet sich auch an Besucher, die keine Nahestehenden hier liegen haben; an den Stationen geht es darum, sich die unterschiedlichen Situationen von Trauer und Verlust bewusst zu machen. Auf solch einem Beinacker werden die emotional ansprechenden Schmidl-Klänge gewiss keine Fremdkörper sein.

Zur Person: Burkard Schmidl

Klanginstallationen im begrünten Raum sind die Spezialität des 1955 in Würzburg geborenen Burkard Schmidl. Der spielte bereits als 17-Jähriger im Vorprogramm von Joachim Kühn am Flügel und erfüllte sich den Aussteigertraum vom Musikerdasein als Keyboarder der Jazzrock-Combo Missus Beastly.
Nach zehn Jahren, in denen er auch die meisten Stücke von Missus Beastly schrieb, 1983 stieg er bei der neugegründeten Ethno-Band Dissidenten ein, ein Jahr drauf bastelte er als "Iwan Opium" sein musikmarkt-satirisches Fake-Album. Das entdeckte der Münchner Eisi Gulp, mit dem Schmidl fünf Jahre lang Comedy-Shows machte.
1988 unterhielt er die Kunstdisco der Olympischen Spiele in Seoul mit einem Mix eigener ethnischer Musikaufnahmen aus aller Welt, bevor er daheim kurz mal einen Lehrauftrag an der Musikhochschule annahm, sich dabei aber ernsthaft und endgültig von der Bühne verabschiedete. Es folgten die bekannten Klanginstallationen und überraschende Gelegenheitsarbeiten. So programmierte er unter anderem die Sounds für das Computerspiel "Nautilus". Derweil fast jährlich Gartenschauen, etwa Fulda, Zittau, Bingen, aber auch Innenraum-Konzepte, zum Beispiel für die Kunstmesse Art Cologne in Köln.
Quelle: jfi
 
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