Kein Sängerinnen-Dekolleté konnte darüberhinwegtäuschen, dass als Zentralgestirn über der „Mailänder Soiree“ beim Kissinger Sommer der französische Pianist David Fray stand. Wohl selten hat man im Max-Littmann-Saal ein Konzert so zweigeteilt erlebt, so zerfallen in zwei ungleiche Hälften.
Das Orchestra dell’Accademia del Teatro della Scala, beeindruckende Nachwuchsschmiede des Mailänder Orchesters, bestach schon in der Ouvertüre zu Gioacchino Rossinis Oper „L’Italiana in Algeri“ mit perfektem Zusammenspiel. Unter Leitung von Lawrence Foster, erfahren in der Arbeit mit jungen Ensembles, zeigte es international wettbewerbsfähige Qualitäten; ein außerordentlich schönes Oboensolo machte auf die künstlerischen Fähigkeiten des Einzelnen aufmerksam.
Nahezu ungetrübte Einigkeit
Im Zentrum des Konzerts stand Beethovens Klavierkonzert Nr. 3. In einer unbestechlich deutlichen und makel-, aber keineswegs gesichtslosen Interpretation zeigten sich Pianist und Orchester in nahezu ungetrübter Einigkeit. Der 33-jährige Fray – zurückhaltend im Auftreten, in Blässe und Zügen an Chopin, beim Spiel an Glenn Gould erinnernd – präsentierte im ersten Satz eine kristallklare Solokadenz, deren wuchtigen Bassoktaven er gesunden Kern, deren Läufen er nie maschinelle Brillanz verlieh. Berückend die Eröffnung des Largos, in der Poesie und Klangsinnlichkeit mit größtmöglicher Genauigkeit verschmolzen.
Das Orchester steuerte bemerkenswerte Soli bei und klang selbst im Piano immer homogen und niemals kratzig; delikat das Fugato und die zirpenden Sekundintervalle der Streicher im ungestümen Schluss-Rondo.
Schaulaufen des Nachwuchses
Beethovens ursprünglich geplante, doch einem Mehr an Mozart-Arien geopferte 8. Sinfonie hätte vielleicht für mehr Zusammenhang gesorgt. So geriet der zweite Teil zu einem vordergründig abwechslungsreichen Schaulaufen des zweifellos hochtalentierten Sängernachwuchses der Accademia: Fatma Said und Alice Quintavalla (Sopran), Erika Beretti (Mezzosopran), Kwanghyun Kim und Piotr Ostapenko (Bariton).
Auch wenn diese Melange aus „Figaro“, „Cosi fan tutte“ und „Don Giovanni“ der vorangegangenen runden Interpretation des Klavierkonzerts nicht standhielt, musizierte das Orchester auch hier farbig und präzis. Es zeigte Zurückhaltung, wo nötig, und spielte immer wieder erquickend temperamentvoll auf.