Daniel Hope, 42, ist einer der aufregendsten Geiger der Welt. Der Brite wurde mehrfach für den Grammy nominiert und mit sechs Echo-Klassik-Preisen ausgezeichnet. Nach Projekten mit Klaus Maria Brandauer, Sting und Sofie von Otter wendet er sich nun dem Schaffen seines Mentors Yehudi Menuhin zu. Der galt als größter Geiger des 20. Jahrhunderts und wäre am 22. April 100 Jahre alt geworden. Ihm zu Ehren brachte Hope das Album „My Tribute To Yehudi Menuhin“ heraus. Am 1. Juli ist der Stargeiger beim Kissinger Sommer mit einem Mozart/Mendelssohn/Tschaikowsky-Programm zu erleben.
Daniel Hope: Im Garten von Menuhins Chalet in Gstaad. Dieses Haus war für mich eine unglaubliche Spielweise. Ich verbrachte dort jeden Sommer ab meinem zweiten Lebensjahr. Das Menuhin-Festival dauerte immer von Mitte Juli bis Ende August, und meine Mutter, die dort arbeitete, nahm mich stets mit. Dieses Album ist für mich eine Herzensangelegenheit. Hundert Jahre Menuhin – und ein Vierteljahrhundert davon ist mein Leben gewesen.
Hope: Für mich persönlich war er Freund, Mentor und eine Inspiration auf vielen Ebenen. Die Menschlichkeit stand bei ihm immer im Mittelpunkt. Er bezeichnete sich selbst als meinen musikalischen Großvater. Als Einstein den jungen Menuhin spielen hörte, fiel er auf die Knie und sagte: „Jetzt weiß ich, dass es einen Gott im Himmel gibt!“ Ich glaube nicht, dass Einstein unbedingt zu Übertreibungen neigte. Der zwölfjährige, etwas dickliche Menuhin muss vergleichbar gewesen sein mit dem Genie Mozart.
Hope: Das war vor allem sein Klang, er war so umfassend, so warm und so emotional, dass er einen vom ersten Ton an fesselte. Ein Ton genügt – und man ist infiziert. Und dann der Ausdruck in seinem Spiel: Menuhin setzte den Bogen auf ganz ungewöhnliche Weise ein, so dass dieser mitsprach. Er nannte das Parlando. Jede Phrase, jeder Ton hat bei ihm gesprochen.
Hope: Ja, sofort. Das Tolle war nicht nur das Zuhören, sondern auch das Zuschauen. Auf der Bühne wirkte er trotz seiner eher geringen Körpermaße wie ein Koloss. Yehudi verschmolz mit seinem Instrument und legte dabei viel Wert auf die Haltung. Das wirkte auf mich anziehend wie ein Magnet. Ich war drei, als ich ihn das erste Mal spielen hörte.
Hope: Die kam bei mir erst später. Am Anfang war er für mich nur der Chef meiner Mutter oder unser Opa. Als ich aber mit 16 anfing, mit ihm richtig zu musizieren, verspürte ich anfangs eine große Hemmschwelle. Doch es gab immer wieder Momente, wo er mich durch seine Leichtigkeit wieder zurückversetzte in meine Kindheit. Gemeinsam mit ihm auf der Bühne zu stehen, machte mich extrem nervös, aber er hatte immer ein Auge auf mich. Sogar noch während der Konzerte gab er mir Tipps. Einmal gab es einen langen Applaus zwischen dem 1. und 2. Satz des Beethoven-Konzerts – er nutzte das, um mich vor 2500 Menschen zu unterrichten (lacht).
Hope: Ich habe mit vier ganz stolz angekündigt, dass ich Geiger werden will. Aber Menuhin riet meiner Mutter, ich solle erst mal gucken, ob mir das auch Spaß macht. Er half uns, in London eine Lehrerin zu finden, sie hieß Sheila Nelson und war eine der besten Pädagogen für Kinder. Ab und zu besuchte ich Menuhin, und wir spielten etwas zusammen, aber erst, als ich von Zakhar Bron unterrichtet wurde, war seine Neugier wirklich geweckt. Bron brachte damals beim Schleswig-Holstein-Festival Maxim Vengerov und Vadim Repin zusammen. Diese zwei jungen Talente lösten damals ein Erdbeben in der Musikwelt aus.
Hope: Yehudi gab mir einen halbstündigen Vorspieltermin in seinem Haus in Gstaad. Daraus wurden dreieinhalb Stunden, denn er sagte immer: „Weiter, weiter, weiter!“ Er hatte nicht damit gerechnet, dass ich wirklich so viel geübt hatte. Am Ende meinte er: „Ich freue mich wirklich, aber es gibt dennoch viel zu tun. Wenn du also Lust hast, lass uns zusammen arbeiten.“ Und so waren die nächsten zehn Jahre bis zu seinem Tod gefüllt mit Proben und gemeinsamen Konzerten, ich als Solist, er als Dirigent, mit einem Lernprozess on the Road.
Hope: Unbedingt! Ich höre ihn ständig in meinem Kopf, gerade jetzt, gerade wo ich seit Januar eine eigene Radiosendung für WDR3 moderiere und viele alte Aufnahmen dafür anhören muss. Für mein neues Album wollte ich nicht noch einmal das Repertoire aufnehmen, das Menuhin sich bereits zu eigen gemacht hatte. Mich interessierte mehr, was seine musikalischen, menschlichen und politischen Vorlieben waren. Dieses Album ist eine sehr persönliche Zusammenstellung meiner Gefühle für Yehudi Menuhin. Für alle, die ihn noch nicht kennen, empfehlt sich die Menuhin-Website www.menuhin.org/centenary
Hope: Er wäre immer Menuhin geblieben mit seiner unverkennbaren Ausdrucksart. Er war darin ziemlich stur. Große Persönlichkeiten behalten ihren Stil immer bei. Gleichzeitig war er sehr an technischen Erneuerungen interessiert. Bereits in den 50ern wollte er unbedingt ein Elektroauto bauen lassen und hatte dafür schon ganz viele Ideen.
Und 1960 machte er den Vorschlag, für Werke von Mozart oder Beethoven, die nicht mehr dem Urheberrecht unterliegen, eine Gebühr einzuführen. Um das Geld dann wiederum ausschließlich in Umweltprojekte zu stecken. Viele hielten seine Ideen damals für verrückt.
Hope: Es war für die jüdische Bevölkerung in Israel ein absoluter Affront. Genauso wie er 1947 in Berlin trotz verbaler Angriffe mit Wilhelm Furtwängler gespielt hat, der zu Hitlers Lieblingsdirigenten gehörte – obwohl Menuhin Furtwängler gar nicht persönlich kannte. Er sagte, dieser Mann hat vielen Menschen geholfen, ich werde ihn nicht verdammen und reiche ihm und Deutschland die Hand. Es gab kein einziges Konzert, bei dem nicht jemand hinter die Bühne kam und sich bei Menuhin für seine Wiederkehr nach Deutschland bedankte.
Hope: Sehr gewagt: Einerseits fuhr er nach Bergen-Belsen und spielte dort vor den befreiten Konzentrationslager-Insassen. Auf der anderen Seite spielte er mit Furtwängler im zerstörten Berlin. Mitte der 90er sollten wir in Hamburg spielen, überall hingen extrem ausländerfeindliche Wahlplakate mit dem Konterfei von Roland Schill. Da ist Menuhin explodiert, und in diesem Gemütszustand ging er auf die Pressekonferenz, wo die gesamte deutsche Presse auf ihn wartete. Dort hielt er eine Tirade gegen diese Plakate, und alle waren mucksmäuschenstill. Er sagte: „Ich bin auch Ausländer. Soll ich jetzt raus?“ Am nächsten Tag gab es zumindest auf unserer Strecke zum Flughafen keine Wahlplakate mehr.
Hope: Auf dieser Tournee ging es ihm gesundheitlich nicht gut. In Düsseldorf musste morgens der Arzt gerufen werden, aber er hatte uns davon nichts gesagt. Abends sah er etwas blass aus, wirkte ansonsten aber wie immer. Beim Konzert setzte er sich dann zur Zugabe im Orchester auf den Platz eines Geigers und blieb dort bis zum Schluss. Diese Zugabe spielte ich nur für ihn. Ich entschied mich für Ravels jüdisches Totengebet „Kaddisch“; Menuhin hatte es früher selbst so unvergleichlich gespielt. Beim Abgang gab er mir noch Tipps, wie ich den Schluss beim nächsten Mal besser spielen solle. Fünf Tage später starb er. Für mich war klar, dass mein Album mit „Kaddisch“ ausklingen musste.
Hope: Das war sehr schwer für ihn. Aber meine Mutter, die nicht nur seine Sekretärin, sondern auch 24 Jahre Managerin war, sagte ihm, er könne doch auch dirigieren. Und dann merkte er, dass es für ihn vielleicht eine noch größere Freude war, vor allem Sinfonien zu dirigieren. Bei Violinkonzerten war er aber so sehr auf den Solisten fixiert, dass er manchmal vergaß, das Orchester wieder reinzubringen.